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Der Henker von Lemgo

Der Henker von Lemgo

Titel: Der Henker von Lemgo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Szrama
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mehrere Landsknechte
trieben die Schüler wie Vieh neben dem Karren mit Stöcken zusammen. In ihren
haarigen Büßergewändern und mit kahl geschorenen Köpfen erinnerten sie
Beschoren an zur Schlachtbank getriebene Kälber. Jetzt, wo er sie wiedersah,
traf ihn die Schwere seiner Schuld, die Schulkinder unter der Folter belastet
zu haben, unerträglich stark. In Kürze würde er vor Gott darüber Rechenschaft
ablegen müssen, und vor dessen Zorn fürchtete er sich mehr noch als vor dem
Tod. Dabei hatte er die Kinder gerade vor diesem Schicksal bewahren wollen,
indem er es als Schulmeister für seine Pflicht gehalten hatte, sie über die
wahren Hintergründe der Hexenverfolgung aufzuklären.
    Das Leid in den
Kinderaugen gab ihm all seinen Mut zurück. Er sammelte seine letzten Kräfte und
versuchte das schier Unmögliche. Als die Knechte unaufmerksam waren, bäumte er
sich auf und entzog sich ihrem Griff. Blind rannte er mit dem Kopf gegen ihre
Leiber und biss um sich wie ein tollwütiges Tier. Aus Furcht vor dem Teufel in
ihm ließen die Knechte entsetzt von Beschoren ab. Für einen Augenblick frei,
stürzte er, soweit es die Kette zuließ, auf die Tribüne zu und hob die
gefalteten Händen zu dem Richter. »Habt Erbarmen, hoher Herr. Vierteilt mich,
zerstreut meine Asche in alle Winde, aber verschont um Himmels willen die
Kinder!«, flehte er ihn mit dünner Stimme an.
    Stadtsekretär Berner
stand auf. Er hielt das Pergament mit der Anklageschrift in den Händen und
beantwortete höhnisch anstelle des Richters die Bitte des Hexenmeisters. Dafür
unterbrach er das Gespräch mit dem Verteidiger und blickte von oben, über den
Tisch gebeugt, auf Beschoren hinab. In den grauen Schreibtischaugen spiegelten
sich Langeweile und grenzenloser Zynismus. Erbarmen für die Hexenkinder war
nicht darin zu finden.
    »Weshalb bittet Ihr
für sie, Hexenmeister? War es nicht einer Eurer eigenen Schüler, Schulmeister
Beschoren, welcher Euch der Zauberei bezichtigt hat?«
    »Erbarmen, Ihr hohen
Herren …«
    Zwei Knechte
versuchten, ihn von der Tribüne wegzuzerren. Doch beherzt und mit Gottes Hilfe
gelang es dem Schulmeister, sich ein zweites Mal zu befreien. Diesmal hatte er
die Axt eines Knechtes ergriffen und schwang sie drohend über dem Kopf. Mit
klirrenden Ketten und der Axt in den gefesselten Händen steuerte er auf die
Stufen zu, die zur Tribüne führten.
    Berner war nur um
eine winzige Nuance blasser geworden. Für solche Pannen war Meister David
zuständig. Es war seine Aufgabe, den wild gewordenen Hexenmeister zu bändigen.
    Behände sprang der
Scharfrichter vom Wagen und winkte den Knechten, die ihm rasch folgten. Während
der Henker sich kraftvoll über Beschoren warf und ihm beherzt die Axt entriss,
schlugen und traten seine Helfer den Hexenmeister zu Boden.
    Schmerzhaft spürte
Beschoren den Fuß eines Knechtes im Genick, dann schob man ihm auch noch einen
Luntenstock rücklings durch die Arme, sodass es ihm die Beine wegriss und er
mit dem Kinn auf das Pflaster schlug. Der Aufprall schmerzte und drückte hart auf
die Muskeln, doch er presste die Lippen zusammen und ertrug die Qualen in
Demut. Denn Gott hatte ihn erhört und ein Zeichen geschickt. Ein Zeichen, das
er in den Augen Marias erblickt hatte, die er unter den Hexenkindern wähnte und
die plötzlich aus der Geborgenheit des mächtigen Holzgerüstes, unterhalb der
Tribüne, erschrocken auf ihn herabgeschaut hatte.
    Die Mädchen
hatten die Unaufmerksamkeit der Wächter genutzt, um sich unbemerkt an ihnen
vorbeizuschmuggeln. Doch als Maria sich der undurchdringlichen Zuschauerwand
gegenübersah, überkam sie große Ratlosigkeit. Nirgendwo war an ein Durchkommen
zu denken, und Margaretha frohlockte bereits: »Komm, Maria, du siehst ja
selbst, Gott hat sich gegen uns verschworen. Lass also Meister David in Ruhe
seine Arbeit tun. Der Vater hat sicherlich unsere Abwesenheit bereits bemerkt
und sucht nach uns!«
    Aber in diesem
Moment hatte Maria eine winzige Lücke erspäht, die durch den Tumult vor der
Tribüne entstanden war. Rasch gab sie der Schwester den Befehl: »Du wartest
hier! Und wenn ich zurückkomme, gehen wir nach Hause.«
    Hilflos sah
Margaretha zu, wie die Schwester auf die dichten Zuschauerreihen zusteuerte und
hinter einem Händlerkarren ihren Blicken entschwand.
    Ohne sich noch
einmal umzusehen, drängelte sich Maria unter Einsatz ihrer Hände und Ellbogen
durch die Mauer parfümierter Stoffe, Tücher und Körper. Einige Male war es
stockdunkel um

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