Der Henker von Lemgo
alter Mann sein, wenn sie so weit ist.«
Der Bürgermeister
hielt den Blick steif geradeaus auf die Menge gerichtet. »Konntet Ihr den Namen
des Mädchens erfahren?«
»Sie trägt den
göttlichen Namen Maria.«
Kerckmann suchte in
seinem Gedächtnis, dann verfinsterten sich seine Züge. »War es vielleicht Maria
Rampendahl?«
»Genau!«
»Dann meidet sie.
Sie ist eine verdammte Hexe und Schülerin von Hermann Beschoren!«
»Warum ist sie dann
nicht unter den verurteilten Hexenkindern?« Cothmanns geschminktes Gesicht war
vor Erstaunen zu einer starren Karnevalsmaske geworden.
»Weil der
Hexenmeister seine Lieblingsschülerin mit Hilfe eines Teufelszaubers zu
schützen vermochte. Meister David ist es nicht gelungen, ihm ihren Namen zu
entreißen. Aber auch das wird der Hexe auf lange Sicht nichts nützen. Eines
Tages werden wir sie überführen, und dann wird sie brennen. Es ist nur eine
Frage der Zeit.«
Erneut setzte
Trommelwirbel ein, diesmal wild und heftig, um die Aufmerksamkeit der unruhig
gewordenen Zuschauer anzuschüren. Das Volk war nicht gekommen, um langen Reden
zu lauschen, es wollte den Hexenmeister leiden sehen, ihn vor Schmerzen
schreien und um Gnade winseln hören. Im Grunde genommen interessierte den Pöbel
das grausige Schauspiel nur, um die eigenen Aggressionen abzureagieren, die der
Hohe Rat geschickt in die richtigen Bahnen zu lenken wusste. Das törichte Volk
wollte den Sieg des Guten über das Böse feiern, nichts ahnend, dass es dadurch
nur das Ansehen des Richters und des ehrenwerten hochherrschaftlichen Rates
stärkte.
Mit einem
Handzeichen verschaffte Berner sich Gehör, dann tönte seine Stimme über den
Marktplatz. »Kommen wir nun zur Verlesung des Urteils über Hermann Beschoren,
Schulmeister der Stadt Lemgo!«
Feierlich erbrach er
das Siegel und entnahm der Akte das Pergament mit dem Urteil. Dann begann er
laut vorzulesen:
In Peinlicher Sachen, peinl. Ambts Anclegers
der Stadt Lemgo eins wieder Herman Buscharn
Peinl. Angeclagter anderstheils wird wegen
angeholten einsolches Dienten den Rechttgelahrten
vor unß Bürgermeister und
beiden Städter der Stadt Lemgo hiemitt
zu recht erkandt und außgesprochen das
zugegen Peinl. Angeclagter Hermann Buscharn
einer vorubten begangener und als bereits
alhier öffentlich für diesem gesagten
Peinl. Halsrichter freiwilligh ingüte
gestandener und bekandter Zauberei halber
auch als er vorschiedeene kleine Kinder
so ihm von uns den Eltern zur Schule geprachet
an statt schuldiger Information das Zaubern
gelernt und also deshalb dem Teuffel zu geführet,
indem zu Schreck und abscheulichem Exempel –
ihm aber zu wolverdienete Gerichtsstraffe –
zuerst dreimahl mitt gluendenen
Zangen anzugreiffen und folgendts
mit dem Schwertt vom leben zum
thode hinzurichten gelegen und darauf der Thodte
Corporis mit dem feuer zu verbrennen sey.
Berner verstummte kurz, um die Worte wirken zu lassen. Einige
der Zuschauer murrten, dann begann es zu brodeln wie in einem überkochenden
Kessel. Rufe wie: »Macht schon, beeilt euch!«, ertönten aus der Menge. »Schlagt
dem Hexenmeister endlich den Kopf ab!« Und einer aus der ersten Reihe, mit
feisten Wangen, spitzem Hut und Gänsebauch, schrie: »Er hat unsere Kinder
verhext. Auf ewig sollen sie in der Hölle schmoren!« Es war Johann Vieregge,
der seine Tochter Maria an der Hand hielt.
»Ruhe, ihr guten
Leute!«, verschaffte sich Berner noch einmal Gehör und hob die Hand. »Lasst mich
noch das Urteil über Margarethe Hake, Ehefrau des Schulmeisters Hermann
Beschoren, zu Ende verlesen, damit ich sie beide rechtens dem Henker übergeben
kann.«
Nachdem er auch
dieses ausführliche Urteil verlesen hatte, schob er das Pergament umständlich
in die Akte zurück. Sein Blick blieb an dem Hexenmeister hängen: »Schulmeister
Hermann Beschoren, habt Ihr noch einen Wunsch? Dann äußert ihn jetzt.«
Beschoren verharrte
unbeweglich. Nur die arbeitenden Gesichtsmuskeln zeugten von den Gefühlen, die
in ihm tobten.
»Gott vergebe ihnen,
denn ich habe ihnen bereits vergeben. Sie wissen ja nicht, was sie tun«,
murmelte er leise. Sein Blick wanderte zu seiner Ehefrau. »Verzeih auch du mir,
wenn ich dir kein guter Ehemann war. Ich liebe dich.« Der Schmerz in den Augen
seiner Margarethe machte ihn schier wahnsinnig. Sie war nicht so stark wie er.
Ihre verwirrte Seele nahm das Geschehen um sie herum längst nicht mehr wahr,
war nur noch auf den bevorstehenden Tod konzentriert. Sein Körper
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