Der Henker von Lemgo
straffte
sich. »Macht ein schnelles Ende, Meister David!«, rief Beschoren dem Henker zu.
»Meister David,
hiermit übergebe ich die Schuldigen Eurer hochgeschätzten Kunst, sie vom Leben
zum Tode zu befördern«, gab der Fiskal dem Scharfrichter den Befehl. »Friede
ihrer Seele.«
Er hatte die Worte
noch nicht ausgesprochen, da wurde der Schulmeister von hinten gepackt und zum
Karren geführt. Wie auf ein unsichtbares Zeichen hin begann die Menge erneut zu
toben. Vor der Treppe zum Karren hielt Beschoren noch einmal inne und sah
zurück zu seiner Frau. Die Knechte hatten sie mit den Händen an das Ende des
Wagens gebunden, ihre Augen blickten ausdruckslos ins Leere. Dann suchte er
nach seiner Schülerin. Als er Maria nirgends entdeckte, stieg er erleichtert
die Treppe hinauf.
Marias Hände zitterten,
als sie dicht neben ihm das Wagenrad umschlossen und ihr Blick hinauf zum Wagen
flehte, auf dem der Scharfrichter neben dem Pfahl breitbeinig auf Beschoren
wartete. Unbemerkt hatte sie es geschafft, neben den Karren zu gelangen. Aus
ihren kindlichen Zügen war jegliches Blut gewichen. Sie hatte den Mund zu einem
Schrei geöffnet, ihre vollen Lippen bewegten sich verzerrt. Es kostete sie
unendliche Mühe, ihrer trockenen Kehle einen heiseren Ton zu entlocken.
Verzweifelt kletterte sie die Sprossen der Räder hinauf und klammerte sich an
das Holz, bis ihre Finger zu bluten begannen.
»Meister David!«,
rief sie. »Meister David, hier bin ich! Bei Gott, bitte, seid gnädig und
erspart meinem Schulmeister die Qualen, so wie Ihr sie einst meiner Großmutter
in Eurer Großmut erspart habt. Ich werde Euch jeden Abend bei untergehender
Sonne in meine Gebete einschließen, und der Herr wird es Euch vergelten.«
Sie sah, wie der
Henker sich kurz über das Wagengitter beugte und suchend hinab in die
Menschenmenge schaute. Doch ihre Schreie verklangen ohne Antwort in der
grölenden Masse. Wie ein verebbender Sturm gingen sie in dem Orkan unter, der
nun einsetzte.
Als die Knechte
den Schulmeister die letzte Stufe hinauf vor seine Füße stießen, reichte ihm
David helfend seine kräftige Hand. In dem Handschuh fühlte sie sich kühl an.
Der Henker nickte kurz, während Beschoren hinter der ledernen Maske nach seinen
Augen suchte.
»Warum, mein Sohn,
verbirgst du heute dein Gesicht vor mir?«, fragte er leise. »Noch nie hast du
Derartiges getan und den Verurteilten stets aufrichtig in die Augen gesehen.
Ist’s die Abscheu, oder gerätst du diesmal mit deinem Gewissen in Konflikt?«
David hielt die
zitternde Hand seltsam lange fest. Hinter den Augenschlitzen arbeitete es, und
Beschoren glaubte, eine winzige Träne zu entdecken.
»Du bist noch so
jung, mein Sohn. Töten ist dein Handwerk, wie es schon das deines Vaters und
deiner Großväter war, aber ich weiß, dass du ein Meister deines Faches bist.
Befürchte nicht, dass ich dich im Angesicht des Todes mit einem bösen Fluch
belege. Aber selbst wenn es so wäre, würde dich deine Kappe nicht davor
schützen. So nimm sie ab, mein Sohn, und schau mir ehrlich ins Gesicht.«
Stumm vernahm David
die Worte des Schulmeisters, während die Menge ihn grölend anfeuerte, endlich
mit der Prozedur zu beginnen. Die Knechte hatten alle Mühe, den Karren vor
Übergriffen zu bewahren. Weder der Schulmeister noch die Henkersknechte
bemerkten, was in diesem Moment hinter Davids hoher Stirn vor sich ging.
Lediglich die aufeinandergepressten Lippen legten Zeugnis davon ab, dass in ihm
ein Mensch mit Gefühlen lebte.
Plötzlich ging ein
Ruck durch den kräftigen Körper. »Stellt Euch vor den Pfahl und beugt Euch nach
vorn«, befahl er Beschoren, der vergeblich darauf gehofft hatte, in Davids
Augen sehen zu können.
»Gott wird es dir
vergelten«, murmelte er.
David zog ihm das
Hemd über den Kopf und schlang ihm die Seile um die Füße. Die Arme band er mit
einem Riemen hinter dem Pfahl zusammen. Zuletzt legte er noch einen breiten
Strang um seinen Körper, sodass nur der nach vorn gebeugte Oberkörper frei
blieb. Eine Kopfbewegung des Henkers Richtung Tribüne genügte, um zu verstehen
zu geben, dass die Vorbereitungen beendet waren. Der Fuhrmann setzte die Ochsen
in Bewegung. Links und rechts begleiteten zwei Priester den Karren und beteten
voller Hingabe, während die Menge erwartungsvoll dem Wagen folgte.
»Ich werde Euch
jetzt mit glühenden Zangen reißen und auf dem Wege zum Tor noch zwei weitere
Male, bevor ich Euch mit dem Schwert enthaupte und Euren Körper anschließend
dem
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