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Der Henker von Lemgo

Der Henker von Lemgo

Titel: Der Henker von Lemgo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Szrama
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sie ohne
Weiteres berühren können, so nahe war sie ihm.
    »Schulmeister, könnt
Ihr Gott, den Allmächtigen, nicht fragen, ob ich auch eine Hexe bin? Alle
behaupten es wegen meiner Großmutter Salmeke.«
    Ohne dass er es
bemerkt hatte, war sie unter dem Podest hindurch auf ihn zugekrochen und befand
sich nun in Lebensgefahr. Um von ihr abzulenken, betete er inbrünstig weiter.
»In Gottes Namen, geh, Kind«, raunte er Maria zwischendurch zu, »und verlass
diesen furchtbaren Ort!«
    Er hatte noch nicht
zu Ende gesprochen, da wurde sie auch schon unsanft von hinten gepackt und von
ihm weg zurück in ihr Versteck gezogen.
    »Au!«, schrie sie
und blickte erschrocken in das grinsende Gesicht des Studiosus Cothmann. Als
sie sah, dass es kein Knecht, sondern ein junger Edelmann war, der sie gepackt
hatte, verlor sie ihre Furcht. Sie konnte sich sogar erinnern, sein
geschminktes Gesicht schon einmal gesehen zu haben: auf der Hinrichtung der
Hexe Catharina Goehausen. Unter einer Mönchskutte war er Maria aufgefallen,
weil seine Haut so leichenblass gewesen war, als habe man sie weiß überpudert.
Die Mutlosigkeit in seinen Augen hatte damals ihr tiefes Mitleid erweckt, doch
der Vater hatte sie schnell weggebracht, als die Menge Cothmann in der
seltsamen Verkleidung erkannt und mit Steinen und Kot beworfen hatte.
Letztendlich hatte ihn ein gräflicher Verwandter, der eine dunkle Kutsche
besaß, vor Schlimmerem bewahrt.
    »Wer seid Ihr, und
was erdreistet Ihr Euch?«, schimpfte Maria. »Wenn mein Vater erfährt, wie Ihr
mich behandelt, wird es Euch schlecht ergehen!« Wütend zappelte sie in seinem
festen Griff.
    »Ich glaube eher,
dein Vater wird dich mit dem Stock verprügeln. Was suchst du eigentlich hier,
du kleine Kröte? Du kannst Gott danken, dass ich dich
entdeckt habe und nicht einer von den Knechten oder gar der Scharfrichter«,
versuchte er ihr Angst einzujagen. Er keuchte vor Anstrengung.
    Seine Worte
verwirrten sie, und sie vergaß, sich zu wehren. Cothmann nutzte den Moment, um
sie ohne Mühe zum Tribünenaufgang zu tragen, wo er sie wieder absetzte. Einen
Moment lang musterte er sie verschnaufend, dann schob er neugierig ihre Kapuze
zurück. Erstaunt hob er die geschminkten Augenbrauen. »Bist du von fürstlichem
Geblüt, mein Kind? Wer ist dein Vater?«
    Entzückt betrachtete
er sie. War dies noch ein Kind oder schon ein Weib? Während er noch darüber
nachdachte, hob er mit den behandschuhten Fingern der Rechten ihr Kinn und fuhr
mit den Fingerkuppen bedächtig die Linien ihrer Wangenknochen nach. Dabei zwang
er Maria, ihn anzusehen, und zog sie aus dem Schatten der Tribüne in das Licht,
um sie besser in Augenschein nehmen zu können. Mit der freien Hand nestelte er
an ihrem Umhang, begierig darauf zu erfahren, was für Liebreize sich darunter
verbargen. Da traf ihn schmerzhaft ihr Fuß am Schienbein.
    »Mein Vater ist
Cordt Rampendahl, und mein Name ist Maria!« Ihre Augen blitzten zornig, während
sie sich flink seinem Griff entwand und er erstaunt seinen beschmutzten Strumpf
betrachtete.
    »Du Biest«, fauchte
er amüsiert, »das sollst du mir büßen!« Seltsamerweise war er nicht im
Geringsten wütend auf das Mädchen, vielmehr reizte ihn seine Abwehr. Um Maria
zu ärgern, täuschte er ein böses Gesicht vor und griff erneut nach ihr.
    Maria duckte sich
blitzschnell, und seine Hand verfehlte sie um Haaresbreite. Mutig nahm sie all
ihre Kräfte zusammen und rannte gegen seine gespreizten Beine. Während er
völlig überrumpelt strauchelte und nach Halt suchte, lief sie flink an ihm
vorbei. Und noch bevor er begreifen konnte, dass sie ihm entwischt war,
streckte sie ihm keck die Zunge heraus und tauchte kichernd in der Menge unter.
    »Ehrenwerter
Richter, ich bitte um die Verlesung des Urteils«, richtete Berner gerade das
Wort an Kerckmann.
    »Verkündet nun das
Urteil, Fiskal Johannes Berner«, gab der Richter seine Zustimmung, der durch
den jungen Studiosus abgelenkt wurde, der seinen Platz hinter ihm wieder eingenommen
hatte.
    Dass Berner zur
Verlesung schritt, hielt Cothmann nicht davon ab, dem Richter leise seine
Beobachtung mitzuteilen. Leicht zerzaust ordnete er rasch Perücke und Rock,
bevor er sich, noch ganz von Marias Bild eingenommen, zu Kerckmann hinabbeugte.
Hinter vorgehaltenem Taschentuch schwärmte er von der Begegnung: »Beim
Urinieren ist mir soeben ein Mädchen von fürstlicher Gestalt begegnet. Sie
würde eine gute Ehefrau abgeben, wäre sie etwas älter, aber leider werde ich
ein

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