Der Henker von Lemgo
blutende Nase
wird Euch also höchstens eine Brüchtenstrafe einbringen!«
In ihrer Erregung
vergaß sie allen Anstand und spuckte heftig in die Richtung des Mannes, der nun
zurückbrüllte, dass er es seinerseits nicht auf sich sitzen ließe, einen Schelm
und Werwolf geheißen zu werden. Die Hure habe seinem Kinde Gift beigebracht, es
sei frisch und gesund gewesen, nach dem Besuch der Hure aber krank geworden und
schließlich gestorben. Und eben habe er sie nur daran gehindert, Gift aus der
Apotheke für weitere Missetaten zu besorgen.
Die Schöne raffte,
aufs Äußerste empört, ihre Röcke. »Seit Jahr und Tag führt dieser Schelm
Lasterworte gegen ehrbare Leute. Über mich verbreitet er mit böser Zunge, ich
sei eine Zaubersche!«
»Bei meiner Seele,
das bist du auch, du Miststück! Weshalb will dich denn kein ehrbarer Freier?
Weil du den Teufel im Leib hast und eine Schande für jeden ehrbaren Mann bist!«
Für einen Augenblick
war die Frau sprachlos, dann schienen ihr vor Empörung die Augen aus dem Kopf
zu quellen. »Du Vermaledeiter …!« Wut und Verzweiflung schlugen über ihr
zusammen und raubten ihr die Beherrschung. Wütend holte sie mit dem Fuß aus,
nahm dabei etwas zu viel Schwung, strauchelte und verlor auf dem schmierigen
Pflaster das Gleichgewicht. Hätte Hermann sie nicht aufgefangen, so wäre sie
lang auf den Boden hingeschlagen.
Sie zappelte noch
einen Moment mit den Beinen und boxte mit den Fäusten um sich, bis er ihr
Einhalt gebot. »Haltet ein und zügelt Euer Temperament, schöne Frau, sonst wird
es unser aller Unglück noch sein!« Gleichzeitig warf er einen verächtlichen
Blick in die Richtung des Mannes. »Derjenige, der sich anmaßt, den Teufel zu
erkennen, ist nicht selten der Teufel selbst.«
Die Augen des Mannes
blitzten böse. »Ihr vergesst Euch, mein Herr. Aber was kann ein Ehrenmann von
herbeigelaufenen Fremden auch anderes erwarten!«
Hermann spürte, wie
er kurz davor stand, wieder die Beherrschung zu verlieren. »Haltet das Maul,
oder ich verpasse Euch ein paar Schellen, die Ihr Euren Lebtag nicht vergesst«,
fauchte er. Der Ratsmann zog sich unter Protest in das Gewölbe des Rathauses
zurück, wo er ihren Blicken schließlich entschwand.
Hermann bemerkte,
dass die Frau sich beruhigt hatte und nun nahezu bewegungslos in seinen Armen
lag. »Und was machen wir jetzt mit Euch, kratzbürstige Schöne?«
Das Weib zerknüllte
sein Taschentuch. Die feine Seide ihres Mieders klebte der Frau durchnässt und
zerknautscht am Körper. Verlegen starrte Hermann auf die zwei dunklen Knospen,
die frech aus dem Mieder lugten und sich im Takt ihres Atems hoben und senkten.
Am Ende blieb sein Blick an dem Rubin in der hellen Vertiefung hängen, der ein
seltsames Gefühl in ihm auslöste. Zugleich erinnerte er sich, dass sie ein Dach
über den Kopf brauchten, eine Unterkunft, in der sie ihre Sachen trocknen
konnten. »Wir sind Wandergesellen. Ob wir wohl in Eurem Hause ein Lager für die
Nacht bekommen?«, fragte er und gab ihren Körper wieder frei.
Plötzlich schien sie
ihm wie verwandelt. Erstaunt richtete sie die Augen auf Hermann, dann schien
sie sich wieder zu erinnern, weshalb sie vor der Apotheke stand, und erschrak.
Schnell trat sie einen Schritt zurück, zupfte in sicherer Entfernung den Kragen
über der Brust zurecht, ordnete ihr Mieder und suchte in den Rockfalten, bis
sie einen zerknüllten Zettel hervorzog. Befreit atmete sie auf, als sie
feststellte, dass das Papier keinen Schaden genommen hatte. »Die Medizin für
meine Mutter … Ich hätte sie fast vergessen.« Rasch schlug sie den Weg zur
Apothekentür ein.
Hermann sah ihr
gedankenverloren hinterher, bis Anton ärgerlich sein Bündel über die Schulter
warf und leise knurrte: »Undank ist der Welten Lohn. Komm, hier haben wir
nichts mehr verloren!«
Als sie sich
enttäuscht umwandten und schon den Marktplatz in die Richtung verließen, aus
der sie gekommen waren, hörten sie hinter sich eine Stimme rufen:
»Entschuldigt, Ihr Wanderburschen!«
Die Frau stand auf
dem obersten Absatz der Stufen und winkte ihnen zu. »Lauft nicht weg! Bei
meiner Ehre, nur einen Moment. Gott soll mich strafen für meine Unhöflichkeit.
Ich bin Maria, die älteste Tochter des Cordt Rampendahl. Im Hause meines Vaters
wartet das beste Bier der Stadt auf Euch, und an einem Lager für die Nacht soll
es Euch auch nicht fehlen. Aber zuvor gestattet mir, beim Apotheker Henrichsen
die Medizin für meine Mutter zu besorgen. Sie leidet auf der
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