Der Henker von Lemgo
Brust. Mein Bruder
Caspar, der Chirurgus, hat sie ihr, bevor der Herrgott ihn zu sich holte,
verordnet.«
Ehe sie sichs
versahen, war sie auch schon unter dem prunkvollen Steingiebel verschwunden,
und sie hörten den Eisenring schwer gegen die Tür schlagen. Es dauerte nicht
lange, und der Apotheker, ein kleines hageres Männchen, erschien auf der
Schwelle. Mit einem brennenden Kerzenleuchter in der Hand, bat er Maria
mürrisch herein.
Neugierig
beobachtete Hermann durch die Butzenscheiben, wie das Männlein ein Kraut in
einem Tiegel über einer kleinen Flamme erhitzte. Den so gewonnenen Sud füllte
es mehrmals in verschiedene flache Schalen um, bevor es ihn in ein kleines
kupfernes Gefäß goss. Zum Schluss schrieb der Apotheker etwas in ein Buch und
reichte Maria die gut verschlossene Medizin. Sekunden später erschien die
Schöne wieder auf dem Treppenabsatz und gebot ihnen, ihr zu folgen. »Es sind
nur ein paar Schritte bis zur nächsten Gasse, wo Ihr Eure Sachen in der besten
Herberge der Stadt trocknen dürft«, versprach sie ihnen und lief leichtfüßig
wie ein Reh voran.
Anton und Hermann
holten sie schnell ein. Als sie neben ihr herliefen, fragte Anton außer Atem:
»Warum ist Euch der Apotheker nicht zu Hilfe geeilt? Er hätte den Lärm doch
vernehmen müssen?«
»Vor zwei Jahren im
April lag der Apotheker Henrichsen mit meinem Bruder Caspar im Prozess. Er hat
ihn des unerlaubten Medikamentenhandels bezichtigt.« Sie schwieg einen Moment.
»Mein Bruder war ein angesehener Barbier.«
»Es scheint, Ihr
habt Euren Bruder sehr geliebt?« Hermann war stehen geblieben, um zu
verschnaufen.
»Er war mir neben
meinem Vater das Liebste. Ich habe viel von ihm gelernt.«
»Dann seid Ihr so
etwas wie ein weiblicher Chirurgus?«
»Nein, eher ein
Kräuterweib. Aber seit seinem Tod gehört mir die Barbierstube.«
»Dann barbiert Ihr
auch Bärte?«
Sie lachte. »Wenn
Ihr Euren Bart gestutzt haben wollt, ich habe eine sichere Hand. Aber eher
verstehe ich mich auf die heilende Medizin. Ich braue für alles ein Mittel,
egal, ob Ihr an Bauchweh, einem Furunkel oder Fieber leidet.«
Sie wischte sich mit
dem Ärmel den Regen vom Gesicht und deutete dann auf ein großes Steingiebelhaus,
dessen gewaltiges Tor weit offen stand. »Ihr werdet Euch gleich selbst von
allem überzeugen können. An Eurem Koffer erkenne ich, dass auch Ihr Barbiere
auf Wanderschaft seid.« Ihr Blick glitt zu dem Tornister in Hermanns Hand, in
dem er Salben, Kräuter und chirurgische Instrumente aufbewahrte. »Woher kommt
Ihr, Fremder?«
»Aus Bremen«,
antwortete Hermann.
»Doch unser
Geburtshaus befindet sich in Varel, wir sind Brüder«, lenkte Anton die
Aufmerksamkeit der Frau auf sich.
»Aus Varel? Dann
kommt Ihr sicher von weit her. Verzeiht meine Unwissenheit, aber wo befindet
sich der Ort?« Sie lachte etwas verlegen, wobei sie eine Reihe gleichmäßiger
Zähne zeigte.
Vor ihnen stand ein
Weib, das sich für mehr interessierte als für die Hausführung! Anton war überrascht.
»Unsere Geburtsstadt liegt im Oldenburger Land. Nicht weit entfernt von der
Küste und der See. Habt Ihr die See schon einmal gesehen, Jungfer Maria?«
»Nein.« Maria
schüttelte das nasse Haar. »Aber ich habe von ihr als Kind gehört. Sie soll von
wundersamer blauer Farbe sein und bis in die unendliche Ferne reichen. Die
fremden Kaufleute, welche früher den Fluss herunterschifften und bei Großvater
Ludeke einkehrten, erzählten von großen, reich beladenen Schiffen, von Ebbe und
Flut, rauem Seegang und fernen Ländern, in denen die Menschen anders anzusehen
sind als wir.«
»Gott hat Euch nicht
nur Schönheit, sondern auch Verstand gegeben.« Anton verbeugte sich
respektvoll. »Mein Name ist übrigens Anton, und das ist mein Bruder Hermann.«
Das Weib raffte abermals
die Röcke und kicherte kokett ein »Angenehm!«, während sie Hermann belustigt
zuzwinkerte.
Ihre Natürlichkeit
und ihr übermütiger Charme zogen Hermann immer stärker in ihren Bann. Er konnte
den Blick nicht mehr von ihr wenden. »Aber warum sprecht Ihr in der
Vergangenheit? Betreibt Eure Stadt denn keinen Handel mehr?«
»Schon lange nicht
mehr. Nach dem Krieg blieben die Kaufleute fort. Es sind nur noch wenige
Tuchhändler, die sich zu uns verirren. Gott und die Kaufleute haben sich längst
von uns abgewendet. Unsere Herrscher sind der Bürgermeister und der Geschworene
Rat. Raub, Plünderung und Händel beherrschen die Stadt, während Teufel und
Hexen ihr Unwesen treiben.«
»Kann
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