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Der Henker von Paris

Der Henker von Paris

Titel: Der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claude Cueni
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Sie hiermit gnädigst, meinem Enkel Charles-Henri Sanson, der hier vor Ihnen steht, das Amt seines Vaters Jean-Baptiste Sanson zu übergeben.«
    »Sie wollen den Sansons die Herrschaft über das Schafott sichern, Madame.« Es war keine Frage, eher eineFeststellung. »Nun gut, Madame, Ihr Enkel soll den blutroten Mantel tragen und das Schwert der Gerechtigkeit führen. Das Amt soll ihm kommissarisch anvertraut werden, bis Ihr Sohn, der hochgeschätzte Jean-Baptiste Sanson, verstorben ist. Anschliessend soll Ihr Enkel Charles offiziell Monsieur de Paris sein.« Er betätigte die kleine Glocke auf seinem Schreibtisch. Ein junger Mann in blauer Livree betrat wenig später den Raum und verbeugte sich tief vor dem Generalprokurator. Dieser gab ihm die Order, die Ernennungsurkunde auszustellen und den Entscheid zu publizieren. Als der Diener den Raum wieder verlassen hatte, wandte sich der Generalprokurator an Charles: »Sie sind erst seit kurzem wieder in Paris. Aber ich nehme an, Sie wissen, wer Robert-François Damiens ist?«
    Charles nickte, während Grossmutter Dubut an seiner Stelle antwortete: »Natürlich weiss er, wer Damiens ist.«
    Der Generalprokurator tadelte Grossmutter Dubut mit einem strengen Blick. »Ich habe Ihren Enkel gefragt, nicht Sie, Madame! Noch sind Sie nicht Mitglied meiner Behörde.« Er schmunzelte. »Immer noch das gleiche lose Mundwerk!« Nun schwieg sie. Charles freute sich insgeheim, dass es jemand gewagt hatte, den Drachen zurechtzuweisen. Der Generalprokurator nahm ein Schreiben aus der obersten Schublade und reichte es Charles. Instinktiv wollte Grossmutter Dubut das Blatt an sich nehmen, doch der Generalprokurator hob drohend den Zeigefinger, und sie liess von ihrem Vorhaben ab. Er kannte den Text auswendig und spulte ihn herunter, ohne dabei Charles aus den Augen zu lassen: »Robert-François Damiens wurde gestern vom Pariser Gerichtshof für schuldig befunden und zum Tode verurteilt.Er wird zuvor der peinlichen Befragung unterworfen.« Er legte eine Pause ein und sah Charles eindringlich an. »Sie wissen, was die peinliche Befragung bedeutet?«
    Charles nickte. Diese Foltermethode umfasste alle Grausamkeiten, die sich Christen seit der Inquisition je ausgedacht hatten.
    »Und ausserdem«, fügte der Generalprokurator an, »soll Damiens mit der Zange gerissen werden. So steht es im Urteil.«
    Nun war sogar Grossmutter Dubut sprachlos. Das Zangenreissen war derart grausam, dass es längst nicht mehr praktiziert wurde. Wer sollte also diese elende Tortur beherrschen und ausführen? Sie warf Charles einen mitleidigen Blick zu. Dieser hob nur kurz die Wimpern an. Auch ihm fehlten die Worte.
    »Sie werden Hilfe benötigen, junger Mann«, sagte der Generalprokurator mit sehr ernster Stimme. »Verpflichten Sie den Henker von Versailles, Ihren Onkel Nicolas Sanson. Ihm ist noch nie ein Fehler unterlaufen. Er macht tadellose Arbeit, geschickt und würdevoll. Wie alle Sansons. Und für das Zangenreissen gibt es in Brest einen ausgewiesenen Folterknecht. Den können Sie verpflichten. Er heisst Soubise. Ich erwarte hervorragende Arbeit. Ganz Frankreich, nein, ganz Europa wird Sie beobachten. Wenn Sie das bestehen, sind Sie ein gemachter Mann. Aber werden Sie mir ja nicht ohnmächtig. Das mögen die Menschen überhaupt nicht.«
    Den Abend verbrachte Charles mit Dominique am Klavier. Sie spielten Galanterien von Bach, die Lieblingsstücke ihres Vaters. Dieser sass friedlich in seinem braunen Fauteuil,den Kopf auf die Brust gesenkt, die Augen geschlossen. Er schlief nicht. Er genoss. Er freute sich sehr über die Ernennung seines Sohnes Charles. Die vorläufige Ernennung war bei Minderjährigen üblich und gleichzeitig auch eine Respektbezeugung gegenüber dem bisherigen Amtsinhaber, weil man ihm dadurch die Würde liess, trotz Unfähigkeit den Titel behalten zu dürfen.
    Obwohl Charles allen Grund gehabt hätte, auf seinen Vater böse zu sein, hatte er an jenem Abend keinen grösseren Wunsch, als sich zusammen mit seiner Schwester ans Klavier zu setzen. Er spielte mit viel Gefühl für den Mann, der seinen Traum erst befördert und dann zerstört hatte.
    Am nächsten Tag zitierte Charles einen Gehilfen zu sich und befahl ihm, nach Versailles zu reiten, um Onkel Nicolas zu benachrichtigen. Er schickte einen zweiten Gehilfen nach Brest zu Meister Soubise. Charles’ Geschwister waren mächtig stolz auf ihren Bruder. Er würde den Mann hinrichten, über den ganz Paris sprach. Er würde den Mann töten,

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