Der Henker von Paris
Stockwerk hinauf und betraten dort das Arbeitszimmer des Generalprokurators. Er war ein freundlicher älterer Herr mit breiten, borstigen Koteletten, die angegraut waren. Er trug einen schwarzen Anzug mit breiten Schulterklappen und Ärmelgurte, die von der herrschenden Armeemode inspiriert waren. Hinter ihm hing ein grosses Gemälde, das eine Brücke über der Seine zeigte. Die gegenüberliegende Wand zierten Bücherschränke, deren Türen verglast waren. Charles hatte noch nie solch schöne Möbel gesehen. Selbst der Tisch, hinter dem der Generalprokurator sass, war kunstvoll geschnitzt. In der Tischplatte waren farbige Marmorstücke. Die Füsse waren sehr dünn, leicht nach aussen geschwungen und mit Metallverzierungen dekoriert. Der Generalprokurator schien Grossmutter Dubut gut zu kennen. Er lächelte auf jeden Fall sehr vertraut, als er ihre Hand ergriff und eine ganze Weile lang festhielt. Der Blick war so konspirativ, dass Charles augenblicklich begriff, dass die beiden früher eine Affäre gehabt hatten. Jetzt war Grossmutter Dubut zu alt, um mit ihrem Körper zu bezahlen. Der Generalprokurator musterte den jungen Charles. Er schien von seiner athletischen Erscheinung beeindruckt.
»Habe ich zu viel versprochen?«, fragte Grossmutter Dubut energisch und erwartete stolz die Antwort des Generalprokurators. Dieser schwieg. »Er ist doch gross und robust! Kein Mensch würde annehmen, dass er noch so jung ist. Und er hat noch nicht aufgehört zu wachsen. Er schlägt seinem Grossvater nach. Mein Mann war ein Riese, kräftig wie ein Bär, und er bewahrte stets ruhig Blut.«
Der Generalprokurator schmunzelte. »Es haben sich viele Leute aus der Provinz beworben«, sagte er. »Monsieur de Paris ist das bestbezahlte Henkeramt in ganz Frankreich.«
Grossmutter Dubut machte eine verächtliche Handbewegung und ereiferte sich: »Was sind denn das für Leute? Landstreicher? Kriminelle? Entlassene Galeerensträflinge oder Leute wie der Henker von Montpellier, der bei jeder Hinrichtung in Ohnmacht fällt und an Mariä Himmelfahrt die Ziegen des Sattlers bespringt?«
Insgeheim hoffte Charles, dass sich Grossmutter Dubut mit dem Generalprokurator zerstreiten würde. Doch dieser schien eher amüsiert: »Es sind Ihre entfernten Verwandten, Madame, die Jouennes, die Cousins Ihres Enkels.«
»Die Jouennes?«, schrie Grossmutter Dubut. »Aber wer zum Teufel steht in Paris auf dem Schafott: die Jouennes oder die Sansons? Wir stehen in der Gunst des Königs. Keiner hat sich je über uns beklagt. Mein Enkel Charles wird der Beste von allen sein. Gott hat ihm alle Fähigkeiten gegeben, um dieses Erbe anzutreten und seinen Dienst zur vollen Zufriedenheit des Königs zu verrichten. Das Volk wird ihn lieben.«
»Die Jouennes haben mir vierundzwanzigtausend Livre angeboten.«Der Generalprokurator lächelte unbeeindruckt.
Grossmutter Dubut zog mit einer barschen Handbewegung eine lederne Geldbörse aus ihrer Schosstasche. »Vierundzwanzigtausend Livre, das ist doch lächerlich. Daran sehen Sie, wie wenig ihnen das Amt bedeutet.« Sie leerte die Geldbörse aus. Schwere Goldmünzen purzelten auf den Tisch.
Der Generalprokurator lächelte nicht mehr. Nun schien er sehr ernst. »Ich habe die Jouennes ins Châtelet werfen lassen«, murmelte er und musterte Charles sehr eindringlich. Charles streckte den Rücken durch, atmete tief ein und hielt die Luft an, um den Brustkorb kräftiger erscheinen zu lassen. Er tat es instinktiv, ohne daran zu denken, dass er gerade dabei war, seine Grossmutter zu unterstützen. Mit eiserner Miene steckte diese die Goldmünzen wieder in ihre Lederbörse. Sie war nun sehr gekränkt. Aber sie war nicht die Frau, die einen Fehler hätte zugeben können. In solchen Situationen reagierte sie mit Wut und Zorn, um von der Schmach der Zurechtweisung abzulenken. »Ich habe Sie noch nie um etwas gebeten«, sagte sie eindringlich und lehnte sich in konspirativer Manier über den Tisch. »Schauen Sie mich an, Monsieur, Gott hat mir nur deshalb ein langes Leben geschenkt, damit es mir vergönnt ist, das blutige Vermächtnis der Sansons zu wahren und weiterzugeben. Zum Wohle des Königreiches.«
Der Generalprokurator nickte nachdenklich. Es war nicht auszumachen, welche Entscheidung er nun fällen würde. »Madame Dubut«, sagte er trocken, »haben Sie noch nie daran gedacht, sich bei der Comédie-Française zu bewerben?«
Sie hatte keinen Sinn für Humor und sagte stattdessen in beinahe feierlichem Ton: »Ich bitte
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