Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Henker von Paris

Der Henker von Paris

Titel: Der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claude Cueni
Vom Netzwerk:
Alle warteten auf Damiens. Auf dem ersten Karren sass bereits Pater Gomart. Er hatte den Kopf gesenkt und wirkte so betrübt und mitgenommen, als hätte seine eigene letzte Stunde geschlagen. Die Gehilfen hievten Damiens in den ersten Wagen. Frémy wischte sich das Blut an den Hosenbeinen ab und sagte frei von jeglicher Gefühlsregung: »Er gehört jetzt euch.« Charles folgte seinem Onkel Nicolas auf den ersten Wagen. Einige Gerichtsmitglieder setzten sich zu ihnen. Damiens lag auf dem Bretterboden zwischen ihren Füssen. Im zweiten Karren sassen die Henkersgehilfen. Die Wagen setzten sich in Bewegung. Doch sie kamen gleich wieder ins Stocken, weil die zahlreichen Angehörigen der Maréchaussée das Tor versperrten. Schliesslich machten sie den Weg frei, frei für Damiens’ Fahrt zum Schafott.
    Tausende von Menschen begrüssten lautstark die Karren. Sie schrien, grölten, johlten, sangen und lachten. Hunderte von Soldaten, Polizisten und eine schier unvorstellbare Menge von Schaulustigen säumten die Strassen, als hätte sich das Gerücht verbreitet, dass man heute Brot zu einem vernünftigen Preis erhalten würde. Die Rue du Pont Saint-Michel, der Quai du Marché Neuf, die Rue du Marché Palu, sie waren alle rabenschwarz von Menschen. Alle Geschäfte hatten geschlossen. Ganz Paris wollte den Mann sehen, der es gewagt hatte, das Blut des Königs zu vergiessen. Die beiden Karren quälten sich durch die unruhige Menge, die sich wie eine gewaltige Flutwelle durch die Strassen ergoss. Vor der Kathedrale Notre-Dame ritten Gendarmen auf und ab und hielten so die Treppe zum Gotteshaus frei. Doch es war fast unmöglich, den wogenden Menschenstrom aufzuhalten.Immer wieder preschten die Reiter auf die Schaulustigen zu und versuchten sie zurückzudrängen, doch sie konnten kaum zurückweichen, denn hinter ihnen wurden sie von Zehntausenden unaufhaltsam nach vorn gedrängt. Die Nationalpolizisten, die die Wagen begleitet hatten, bildeten nun eine Kolonne und feuerten einige Schüsse in die Luft. Für kurze Zeit kam der Menschenstrom zum Erliegen.
    Die beiden Wagen hielten vor der Treppe von Notre-Dame. Der Gerichtsdiener forderte Nicolas Sanson auf, Damiens aus dem Karren zu hieven. Gemeinsam hoben einige Henkersknechte den Unglücklichen aus dem Karren. Seine Beine waren derart zugerichtet, zerrissen und zerfetzt, dass jede Berührung und Bewegung unvorstellbare Schmerzen bereitete. Charles wollte vermeiden, Damiens’ Beine anzuschauen, aber es war nicht möglich. Der Gerichtsdiener wartete ungeduldig auf der Treppe der Kathedrale. »Auf die Knie!«, sagte er und schaute über die Menge hinweg. Auch er wagte keinen Blick mehr auf Damiens. Die Gehilfen versuchten, Damiens abzusetzen, auf die Knie zu zwingen, doch er stiess einen derart markerschütternden Schrei aus, dass die Menschen urplötzlich verstummten. Fast andächtig verharrte die Menge in diesem Schweigen, als sei sie sich erst jetzt bewusst geworden, dass sie einen Menschen vor sich hatte. Die Henkersknechte hievten Damiens hoch und hielten ihn an den Armen fest. Seine Füsse berührten den Boden nicht. Er sollte nicht unnötig leiden. Damiens sprach die Worte des Gerichtsdieners mit leiser Fistelstimme nach. Es waren Worte der Reue. Er bat Gott und den König um Vergebung. Als ihn die Knechte in denWagen zurückbrachten, liess er seinen Tränen freien Lauf. Er schien nun derart zerrüttet und ob der Schmerzen nahe am Wahnsinn, dass er keine Kontrolle mehr über seinen Körper hatte. Er urinierte und kotete unkontrolliert.
    Die Karren setzten ihren Weg fort. Je näher sie der Place de Grève kamen, desto bedrohlicher wurde die Menschenmenge, die Damiens’ letzte Fahrt sehen wollte. Einige beschimpften und verspotteten ihn, andere warfen mit Abfällen nach ihm, doch es gab auch solche, die stumm am Strassenrand standen und ihn bemitleideten. An allen Kreuzungen stand ein massives Aufgebot von Polizisten und Soldaten. Als der Konvoi endlich in die Place de Grève einbog, empfing ihn die seit Stunden ausharrende Menschenmenge mit einem orkanartigen Gejohle. Instinktiv warf Charles den Kopf zur Seite und suchte den Blickkontakt zu Onkel Nicolas. Selbst er, der Henker von Versailles, hatte noch nie eine derartige Menschenansammlung gesehen. An allen Häusern entlang des Platzes waren die Fenster weit geöffnet. Dahinter drängten sich Schaulustige, und an ihren Kleidern konnte man erkennen, dass die besten Plätze von Adligen besetzt waren. Fünfzig Sou kostete ein

Weitere Kostenlose Bücher