Der Henker von Paris
aus dieser Entfernung gesehen? Das Schafott auf der Place de Grève und Männer, nicht grösser als ein Daumen. Sie hatten Schreie gehört, aber sie hatten Damiens nicht in die Augen geblickt. Sie hatten seinen zerfetzten Körper nicht berührt. Aber er, Charles-Henri Sanson, er hatte alles aus nächster Nähe gesehen. Er hatte es getan.
Unterwegs begegnete Charles Menschen, die offenbar die Hinrichtung verfolgt hatten. Sie nickten ihm respektvoll zu, einige wechselten die Strassenseite, aber nicht aus Furcht, sondern weil er nun ein Grosser war. Charles musste sich nach und nach eingestehen, dass ihm dies doch etwas Genugtuung verschaffte. Trotz des Haderns wegen Dan-Mali. Die Menschen empfanden ihm gegenüber Bewunderung, Respekt, Achtung, vielleicht sogar Furcht. Das Gefühl von Macht schmeichelte ihm durchaus, das Gefühl, unantastbar zu sein. Unbesiegbar.
Unversehens war er in die Allée des Soupirs gelangt. Er verspürte Lust, in ein Bordell zu gehen. Er wollte sich erniedrigen lassen. Demütigen. Er wollte sich beweisen, dass er Dan-Mali nicht brauchte, nie gebraucht hatte. Doch dann verliess ihn der Mut, und er ging weiter. Er war entschlossen, so lange zu laufen, bis er erschöpft zusammenbrechen und einschlafen würde.
Gegen Mitternacht überkam ihn eine grosse Müdigkeit. Die Unruhe war gewichen. Er verlangsamte seinen Schritt und beabsichtigte, das elende Viertel, in dem er sich nun befand, zu verlassen und den Heimweg anzutreten. Indiesem Augenblick löste sich eine dunkle Gestalt aus einem Torbogen und versperrte ihm den Weg. Er dachte zuerst an einen Überfall und griff instinktiv nach seinem Degen. Doch dann sah er in grosse, leuchtende Augen, in ein junges schwarzes Gesicht, und der grosse Mund formte sich zu einem sanften Lächeln. Sie hatte wunderschöne weisse Zähne, eine Seltenheit in Paris. Sie gab Charles zu verstehen, dass er ihr ins Haus folgen solle. Sie muss aus der Neuen Welt stammen, dachte er, sie war so lieblich, so herzlich und hatte nichts gemein mit all den weissen Menschen, die heute auf der Place de Grève stundenlang ausgeharrt hatten. Sie führte ihn durch einen engen, schwachbeleuchteten Flur, der nach ranziger Butter roch, in einen stickig heissen Raum, in dem sich leichtbekleidete schwarze Mädchen aufhielten. Sie standen alle um einen grossen Tisch herum. Darüber hing eine Öllampe, die mit einem roten Schirm abgedeckt war. So wurde das rötliche Licht an die Decke gelenkt und versetzte die Gesichter der Mädchen ins Halbdunkel. Hinter dem Tisch sass eine alte, beinahe zahnlose Frau. Das schwarze Mädchen führte Charles zum Tisch. »Drei Livre«, sagte die Alte in barschem Ton. Er legte die Münzen auf den Tisch. Die alte Frau reichte ihm eins der schmutzigen, geflickten Handtücher, die auf dem Tisch gestapelt waren. Das schwarze Mädchen nahm Charles bei der Hand. Die anderen Mädchen schauten ihnen nach. Sie schienen sie zu beneiden. Sie stiegen eine Treppe hinunter und gelangten in einen Keller, der durch einen schmalen Lichtschacht und ein Dutzend Kerzen beleuchtet wurde und nach alten Weinfässern roch. Charles hörte leises Atmen. Es waren noch andere Menschen im Raum. Die meisten lagen auf demRücken wie Verletzte in einem Lazarett und genossen still die Künste der Liebesdienerinnen. Fast geräuschlos gaben sie sich der Liebe hin. Das Mädchen führte Charles zu einer mit Stoff umwickelten Strohmatte, die zwischen Abfällen am Boden lag, und kniete nieder. Charles blieb stehen. Sie zog ihn sanft zu sich herunter, streifte ihren Rock über den Kopf und hielt ihn eine Weile vor ihre Brust. Dann lächelte sie und senkte ihre Arme. Charles hatte noch nie in seinem Leben einen nackten schwarzen Menschen gesehen. Er kannte dies nur aus Büchern. Ihr Busen war gross und fest, die Warzen dick und schwarz. Sie legte sich langsam auf den Rücken, ohne Charles aus den Augen zu lassen, und streckte dann ihre Arme nach ihm aus. Zögernd legte er seine Kleider ab. Sie griff nach seinem Glied, das bereits steif war, und zog ihn zu sich. Sie nahm ihn in die Arme. Er umfasste sanft ihre Hüfte und befühlte ihren Po, der sich wie ein kräftiger Apfel von ihrem Körper abhob. Als sie ihn in ihre Arme schloss, begann Charles zu weinen. Er versenkte seinen Kopf in ihrem Busen. Zärtlich fuhr sie ihm über den Kopf und flüsterte Worte, die er nicht verstand. Wie ein Kind schaukelte sie den Riesen in ihren Armen. Er weinte, aber er gab kein Geräusch von sich, er weinte ohne Ton.
Weitere Kostenlose Bücher