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Der Henker von Paris

Der Henker von Paris

Titel: Der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claude Cueni
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Essen und Lesen waren das Einzige, was dem kranken Mann noch Freude bereitete. Er stellte eine weitere Magd ein, aber der Geist von Grossmutter Dubut war verflogen.
    Am folgenden Tag erhielt Charles Glückwünsche der Justiz. Ein Bote überbrachte ein Schreiben und eine Sonderprämie für seine ausserordentliche Leistung. Sein erstes eigenes Geld. Auch die Zeitungen lobten die würdevolle und souverän inszenierte Hinrichtung, die vornehme Zurückhaltung. Besonders Gorsas war voll des Lobes. Charles’ Name sei nun auf immer mit dem des Königs Louis XV und dessen Attentäter verbunden, schrieb er.
    Charles war hin- und hergerissen: Einerseits war er stolz, die Aufgabe bewältigt zu haben, andererseits schämte er sich. Er freute sich, zum ersten Mal in seinem Leben eigenes Geld zu verdienen, doch er wollte nicht als Henker Berühmtheit erlangen. Er war über Nacht zum Oberhaupt der Familie Sanson aufgestiegen, aber er hatte Dan-Mali verloren.
    Dieser Gedanke quälte ihn so sehr, dass er eines Abends, als er mit Dominique am Klavier sass, von Dan-Mali zu erzählen begann. Seine Schwester schien amüsiert.
    »Lach mich bitte nicht aus«, bat er vorwurfsvoll.
    »Mein grosser Bruder hat sich verliebt, das ist doch wunderbar.«
    »Aber sie weiss es nicht«, sagte er betrübt, »und jetzt, da sie weiss, dass ich Henker bin, will sie mich bestimmt nicht mehr.«
    Dominique umarmte ihn. »Charles, hör zu, viele Menschen scheitern bereits in Gedanken. Besuch sie doch einfach und frag sie! Vielleicht war es gar nicht sie. Hast du selber gesagt.«
    Sie spielten ein weiteres Stück. Als sie fertig waren, fragte Dominique: »Magst du noch?«
    Er schüttelte den Kopf und sagte leise: »Ich muss dir noch was sagen: Sie stammt aus dem Königreich Siam.«
    Dominique machte ein langes Gesicht. »Kannst du nicht wie andere Leute auch eine Frau aus Paris nehmen? Muss es jemand vom anderen Ende der Welt sein? Die haben doch ganz andere Sitten und Bräuche und sprechen andere Sprachen. Wie verständigt ihr euch denn?«
    »Wir reden eigentlich nicht«, sagte er sichtlich verlegen und setzte leise hinzu: »Wir schauen uns einfach an.«
    »Charles«, seufzte Dominique, »dann kennt ihr euch ja gar nicht.«
    Charles suchte mehrfach das Jesuitenkloster auf, wagte es aber nicht, sich an der Pforte zu melden. Zwar wollte er Pater Gerbillon wiedersehen, an seinem Wissen teilhaben, doch insgeheim hoffte er, Dan-Mali zu begegnen. Pater Gerbillon war nur ein Vorwand, musste er sich eingestehen.
    Eines Morgens nahm er all seinen Mut zusammen und klopfte an die Pforte. Ein älterer Pater bat ihn hinein. Das Kloster kam Charles noch imposanter vor als bei seinem letzten Besuch. Es war ein herrschaftlicher Bau mit hohenGewölben, grossen Fenstern und breiten Treppen aus weissem Stein. Hier wohnen also die Diener Gottes, die Armut predigen und in Saus und Braus leben, dachte Charles. Der alte Pater klopfte im ersten Stock an eine doppelflügelige Holztür und öffnete. Er bat Charles hinein. Vor ihm lag das luxuriös ausgestattete Arbeitszimmer mit der gigantischen Bibliothek, das Charles bereits hatte betreten dürfen. Es erinnerte an ein königliches Kabinett in Versailles. Hinter dem massigen Eichentisch sass Pater Gerbillon. Er war mit dem Verfassen eines Briefes beschäftigt und blickte nur kurz hoch. Er schien nicht erstaunt, ihn zu sehen. »Ich habe dich erwartet, Charles. Nimm doch Platz. Ich bin gleich so weit.«
    Charles setzte sich. Er konnte sich kaum sattsehen in diesem Tempel des Wissens. Überall Bücher, Zeitungen, Schriften, Zeichnungen, Gemälde und eine gigantische Weltkugel am Fenster, die jedem Besucher klarmachte, dass die Welt nicht in Marseille oder in der Normandie endete.
    »Wurden Sie unterrichtet, oder hatten Sie eine Vorahnung?«, fragte Charles misstrauisch.
    »Nein, nein«, Gerbillon lachte, »Erfahrung und gesunder Menschenverstand. Du bist ein Suchender. Hier in Paris wirst du kaum jemanden finden, der dir helfen kann. Hier gibt es nur Papageien. Hast du schon einmal einen Papagei gesehen?«
    Charles schüttelte den Kopf und rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum.
    »Bei uns werden sie von verschrobenen Adligen als Haustiere gehalten, aber im Königreich Siam sind es Schädlinge. Sie sind nebst den Raben die wohl intelligentesten Vögel.Diese Viecher können sich Worte und ihre Bedeutung merken und nachplappern. Wenn du mich fragst, ist das eine Verhaltensstörung. Aber was führt dich zu mir?«
    »Glauben Sie, dass

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