Der Henker von Paris
das ist falsch«, dozierte Gerbillon, während er mit Charles die Eingangshalle des Klosters betrat. »Die Leute haben keine Bildung und zetteln eine Revolution an. Das ist die Mütze des Sonnengottes Mithras! Das hat uns dieser Doktor Guillotin eingebrockt. Die Freimaurer glauben nicht an Gott, sie glauben an eine göttliche Kraft, an die Sonne als Ursprung allen Lebens auf unserem Planeten. Eigentlich liegen sie nicht ganz falsch. Denn alle Religionen haben Götter des Lichts. Selbst Buddha trägt eine Korona, einen Sonnenkranz. Aber mit der Sonne kann man kein Geld verdienen. Religion braucht ein Gesicht. Und ein Gesicht braucht eine Biographie. Marquis de Sade könnte Ihnen das bestätigen. Kennen Sie seine Bücher?«
»Ich wollte über Dan-Mali sprechen.«
Pater Gerbillon bat Charles in sein Büro. »Nun gut, ich langweile Sie. Womit kann ich Ihnen dienen, Monsieur de Paris?«, fragte er amüsiert.
»Ich suche jemanden, der mir in meiner Pharmacie behilflich sein könnte«, sagte Charles ohne Umschweife, »und da habe ich an Dan-Mali gedacht.«
»Oh«, erwiderte Pater Gerbillon süffisant, »der Henker hat sich verliebt? Irre ich mich, oder sind Sie verheiratet?«
»Wäre es möglich, dass Dan-Mali bei mir arbeitet?«
»Leider nein«, sagte Pater Gerbillon, »der König von Siam persönlich hat sie mir geschenkt. Sie ist alles, was mir geblieben ist, seit die Nationalversammlung beschlossen hat, alle Kirchengüter einzuziehen, um die Staatsschulden abzutragen. Jetzt drucken unsere Revolutionäre verzinsliche Staatsanleihen, nennen sie Assignaten und decken sie mit dem geraubten Kirchengut. Aber wer traut schon dem Papier? Oder wie sagte Voltaire: ›Jede Papierwährung findet eines Tages zu ihrem eigentlichen Wert: null.‹ Sie sehen, ich lese gerade Voltaire.«
»Ich würde Sie bezahlen«, sagte Charles mit ernster Stimme, »damit Sie eine andere Magd einstellen können.«
»Womit wollen Sie mich denn bezahlen? Mit Assignaten? Die haben schon ein Drittel ihres Wertes verloren. Am Anfang wurde die Wirtschaft durch das frische Papiergeld stimuliert, aber jetzt haben sie schon die Verzinsung der Assignaten gestrichen. Womit wollen Sie mich also bezahlen? Mit Gold? Der Besitz von Gold ist neuerdings verboten. Niemand darf sich vor der Inflation schützen.«
»Das Halten von Sklaven ist auch verboten, Pater Gerbillon!«
Gerbillon lachte laut auf. »Seit wann ist es verboten, der Kirche zu dienen? Und im Übrigen kümmern sich unsere Revolutionäre nicht um das weibliche Geschlecht. Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit, davon sind die Frauen ausgeschlossen. Zugegeben, da hapert es ein wenig mit der Logik, aber so sind nun mal unsere Revolutionäre. Was halten Sie eigentlich von dieser Revolution?«
»Ich wünschte mir, unser König würde die Zeichen der Zeit erkennen und sich mit einer konstitutionellen Monarchie nach englischem Vorbild begnügen. So könnte er die Revolution überleben, als Galionsfigur am Bug unseres wunderbaren Schiffes.«
»Wissen Sie, was ich jetzt tue, Monsieur de Paris? Ich saufe meinen besten Wein. So tun es alle Brüder in den Klöstern Frankreichs. Wir beten nicht mehr, wir saufen.« Er betätigte die Glocke auf seinem Tisch. Kurz darauf öffnete sich die Tür, und Dan-Mali trat ein. »Mach mir einen Kaffee mit Zimt«, sagte er, ohne sie anzuschauen. Sein Blick ruhte immer noch auf Charles. »Aber warte, bleib hier, bis Monsieur de Paris unser Haus verlassen hat. Sonst kommt er noch auf die Idee, dich zu entführen.«
Dan-Mali suchte Charles’ Blick.
»Monsieur de Paris«, sagte Gerbillon und zeigte zur Tür, »es war eine Freude, Sie wiederzusehen. Aber noch grösser ist die Freude, wenn wir den Henker in diesen Gemäuern nicht mehr sehen.«
Charles schaute nochmals zu Dan-Mali und lächelte freundlich. Gerbillons Kichern ignorierte er. Er verliess das Kloster und verkroch sich in seiner Pharmacie. Jemand klopfte wenig später an die Tür. Marie-Anne schaute herein. »Ich werde morgen mit den Hunden meine Schwester besuchen. Sie braucht Hilfe. Vielleicht bleibe ich einige Wochen.«
Charles nickte. Marie-Anne blieb noch eine Weile in der Tür stehen, doch er schwieg. Als draussen im Flur ihre Schritte verstummt waren, griff Charles zu seinem Tagebuch. Paris erstickt in Papiergeld, schrieb er. Ich werde mitPapiergeld bezahlt. Meine Gehilfen wollen aber kein Papier mehr. Doch die Revolutionäre drucken immer mehr Papiergeld, um neue Schulden zu finanzieren. Dadurch
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