Der Henker von Paris
verlieren die Assignaten noch mehr an Wert, und die Menschen beginnen, Lebensmittel zu horten. Die Preise galoppieren, kein Gesetz kann dies verhindern. Man kann aus dem Nichts kein Geld erschaffen. Papier bleibt Papier.
Als Charles Klavierspiel hörte, huschte ein Lächeln über seine Lippen. Er legte das Tagebuch beiseite und setzte sich im Wohnzimmer neben Gabriel auf die Bank. Gemeinsam spielten sie, und es bedurfte keiner weiteren Worte.
Am nächsten Tag ging Charles zu Tobias Schmidt in dessen Werkstatt. Niemand öffnete ihm auf sein Klopfen hin die Tür, obwohl aus dem Innern deutliches Hämmern zu vernehmen war. Also betrat Charles die alte Fabrikhalle und blieb stehen. Er begrüsste Schmidt mit lauter Stimme, worauf dieser zusammenzuckte. Er trug noch seinen Schlafrock. Die Wände der Werkstatt waren zugemüllt mit Holz- und Metallteilen, Gurten, Riemen, gusseisernen Dampfkesseln und gezahnten Holzrädern in allen Grössen. An den Wänden hingen überdimensionale Skizzen von seltsamen Maschinen, deren Zweck man nur erraten konnte.
Tobias Schmidt führte Charles sogleich in den hinteren Teil der Halle. »Ich habe Ihnen doch erzählt, dass ich daran arbeite, Nahrungsmittel zu konservieren. Wie kann man den Verwesungsprozess aufhalten, ohne dass dabei Geschmack oder Nährwert verlorengehen? Wer dafür eine Lösung findet …«
»… kann die Welt erobern, ich weiss.« Charles schmunzelte.
»Das ist so«, beharrte Schmidt. »Ich versuche, Gemüse und Obst zu kochen und dann in Blechdosen zu konservieren. Aber ich habe noch keine Lösung für das Verlöten der Dosen gefunden. Es ist auch nicht einfach, den optimalen Siedegrad für die einzelnen Lebensmittel herauszufinden. Das wird Jahre in Anspruch nehmen. Jahre!« Schmidt rührte in einem grossen Topf, in dem Äpfel in siedendem Wasser schwammen. »Ich brauche Tausende von Dosen für meine Experimente. Noch ist unklar, ob man Gemüse besser in Öl oder Essig, in Alkohol oder Zuckersirup konservieren sollte. Und das Ergebnis kann man frühestens nach zwei Jahren sehen.«
»Ich möchte mit Ihnen ein kleineres Projekt bereden«, sagte Charles.
»Ich langweile Sie doch nicht? Es tut mir leid, aber ich habe seit Wochen keinen Menschen mehr gesehen.« Schmidt schüttelte verwirrt den Kopf und schlurfte gebückt durch die Halle. Dann liess er sich auf eine Couch fallen. Der Überzug war gerissen. Weisse Hühnerfedern schauten hervor.
Charles folgte ihm. »Ich hatte Besuch von Doktor Guillotin.«
»Dieser Freimaurer. Ich sage Ihnen, die werden die Revolution anführen. Das kommt noch. Zuerst schaffen sie den Klerus ab, dann schaffen sie Gott ab. Denn jetzt muss alles rational erklärbar sein. Das ist die nächste Errungenschaft unserer Revolution. Robespierre fordert einen zivilreligiösen Kult der Vernunft. Er plant ein Fest des höchstenWesens. Und wer ist das höchste Wesen? Die Natur! Behauptet Robespierre. Wir sollen die Natur anbeten wie unsere Vorfahren vor sechstausend Jahren. Bald werden wir bei Sonnenaufgang niederknien und der Sonne für ihr Licht danken.«
»Monsieur Schmidt«, insistierte Charles, »ich muss mit Ihnen über Guillotins Maschine sprechen.«
»Jaja, ich habe in der Zeitung von seiner Idee gelesen. Die humane Tötungsmaschine. Auch dafür hätte ich Ideen. Alle Welt will meine Ideen, doch keiner will bezahlen. Künstler wie ich gehen immer leer aus, und mit meinen Klavieren verdiene ich gerade genug, um neue Blechdosen zu kaufen.«
»Wenn Sie eine Maschine erfinden können, die alle Menschen auf die gleiche Art und Weise tötet, dann werden Sie ein reicher Mann werden. Hätten Sie Lust, eine Skizze anzufertigen, die ein Laie versteht?«
»Jaja«, sagte Schmidt gereizt, »ich habe da Ideen, und es wäre grossartig, wenn man mich beim Hof vorsprechen liesse. Dann könnte ich dem König darlegen, wie man Nahrungsmittel haltbar macht. Er könnte mit seinen Armeen bis nach Russland marschieren, bis nach Afrika oder Indien. Seine Truppen hätten immer genug Nahrung. Er führt ja so gerne Krieg.«
»Monsieur Schmidt, es geht jetzt ausschliesslich um diese Tötungsmaschine. Wenn Ihr Entwurf angenommen wird, könnten Sie möglicherweise für jedes Departement eine solche Maschine bauen.«
»Oh, das wäre das Geschäft meines Lebens! Ich habe so viele Ideen für neue Maschinen, aber nicht das Geld für dasMaterial. Ich wäre Ihnen ewig verbunden, Monsieur, mehr noch, ich würde Sie beteiligen.«
Charles lächelte. »Ihre Freundschaft
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