Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Henker von Paris

Der Henker von Paris

Titel: Der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claude Cueni
Vom Netzwerk:
Weile sagte sie: »Pater Gerbillon wird wieder nach Siam reisen. Er muss meinem König astronomische Instrumente bringen. Er wurde zum Mathematiker des Königs ernannt und wird in Siam den Sternenhimmel beobachten, um neue Seekarten zu erstellen. Und eines Tages wird dein Land diese Seekarten benutzen undmit vielen Schiffen in Siam anlegen, um das Königreich zu erobern. Unser König denkt, dass die Mathematiker deines Königs seine Freunde sind. Aber Pater Gerbillon interessiert sich nicht für den Sternenhimmel. Er liebt junge Buben und Mädchen. Deshalb reist er nach Siam. Er will mich wieder mitnehmen. Aber ich will nicht. Ich hasse ihn.« Sie warf sich in seine Arme und heulte wie ein Kind.
    Charles küsste ihre Stirn. »Du bist nicht allein auf der Welt, Dan-Mali …«
    Sie liess ihn nicht weitersprechen. »Ich komme bald wieder«, sagte sie und erhob sich abrupt. Dann rannte sie hinaus.

9
    Charles begab sich frühmorgens in die Conciergerie, das staatliche Untersuchungsgefängnis, um zu sehen, ob für den Nachmittag mit Exekutionen zu rechnen war. Er stieg die Wendeltreppe links vom Hof hoch und klopfte an die Tür des neuen Staatsanwalts. Er war gespannt auf das Wiedersehen mit Antoine.
    »Das kann noch dauern«, sagte jemand hinter ihm. Charles drehte sich um. Der Journalist Gorsas trat aus einer fensterlosen Mauernische hervor. »Es ist niemand drinnen, aber er liebt es, die Leute warten zu lassen.«
    »Wieso sind Sie denn hier?«, fragte Charles und musterte Gorsas misstrauisch.
    »Er hat mich herzitiert. Wahrscheinlich gefallen ihm meine Artikel nicht. Er wird mir sagen, was ich in Zukunft schreiben soll, um der Pressefreiheit Genüge zu tun. Ich werde schreiben, dass er ein kleines Vermögen geerbt und damit das Amt eines Staatsanwaltes gekauft hat. Den Rest hat er für Weiber ausgegeben und versoffen. Als er wieder nüchtern war, hat er seine reiche Cousine geschwängert, gleich fünfmal, und seit seinem privaten Bankrott ist er ein glühender Hasser der Reichen.«
    »Und das wollen Sie schreiben?«, fragte Charles ungläubig.
    »Wer die Pressefreiheit ernst nimmt, landet bei Ihnen auf dem Schafott, Monsieur de Paris. Wissen Sie, viele Revolutionäre machen aus ihrem privaten Scheitern eine Ideologie. Doch einem wie Antoine Fouquier hätte man eine ganze Hühnerfarm schenken können, und kein einziges Huhnhätte ein Ei gelegt. Wussten Sie, dass der unbestechliche Camille Desmoulins sein Cousin ist? Er hat ihm den Chefposten der Anklage verschafft.«
    Charles klopfte erneut an die Tür.
    »Ja?«, schrie Antoine Fouquier. Charles betrat das Büro. Fouquier streckte ihm gleich die Handfläche entgegen, um ihm klarzumachen, dass er zu warten hatte. Er war gerade in eine Diskussion mit Roederer verwickelt. Fouquier hatte sich stark verändert. Die Verbitterung über seine Niederlagen stand ihm ins Gesicht geschrieben. Es war kein schönes Gesicht. Er ähnelte einem Raubvogel, ausgemergelt, die Nase spitz, lang und gekrümmt. Die Lippen nicht breiter als ein Strich, als würde sich selbst dort der Geiz manifestieren. Er trug Koteletten, die so schmal geschnitten waren, dass sie sein Gesicht in die Länge zogen. Antoine Fouquier war gefürchtet. Denn stattete man Versager mit Macht aus, waren sie meist gnadenlos und grausam. Er schrie Roederer ins Gesicht: »Wenn Sie dieses Gesindel nicht ausmerzen wollen, was wollen Sie denn sonst mit diesem Abschaum machen? Wollen Sie die noch fünfzig Jahre auf Staatskosten in unseren Gefängnissen verköstigen? Manch rechtschaffener Mensch in Paris lebt weniger komfortabel und begnügt sich mit Brot und Kohlsuppe.«
    »Wir schicken sie in unsere Überseekolonien. Wieso wollen Sie einen Mann töten, der noch vierzig Jahre in unseren Minen arbeiten kann?« Roederer schaute zu Charles hinüber und gab Fouquier zu verstehen, dass er in Anwesenheit dieses Mannes nicht weiterdiskutieren wollte.
    Wie Roederer und Fouquier waren auch die meisten Abgeordneten in der Nationalversammlung Juristen. Es warunglaublich, wie viele in der Provinz gescheiterte Anwälte nach Paris gekommen waren und die Gunst der Stunde nutzten, um sich der Führungselite der Revolutionäre anzubiedern. Natürlich wollten sie alle Führer sein, keiner wollte Bürger sein. Und alle benutzten die Politik als Steigbügel für Macht und Geld. Den meisten waren die Ideale der Revolution völlig egal. Sie sonnten sich im Gefühl, wichtig zu sein, und genossen das Leben in Saus und Braus. Das war ihre ganz

Weitere Kostenlose Bücher