Der Herodes-Killer
früheren Sünden, die die langen, weißen Handschuhe kaschieren, aber niemals auslöschen konnten.
Sie trug die Handschuhe beim Gottesdienst, und später trug sie sie immer, aber wenn der Herodes-Killer nachts die Augen schloss, sah er nur ihre von Nadelstichen zernarbten Adern und Arme vor sich.
In seinem Traum sang sie aus voller Kehle, aber alles, was herauskam, war ein klingelndes Geräusch, gefolgt von Stille, worauf sich das Ganze wiederholte. Er schlug die Augen auf und ergriff sein Handy. Er drückte Tasten, um die Verbindung zu dem unbekannten Anrufer herzustellen – immer und immer erschien auf dem Display «Unbekannt» –, doch sobald er das tat, legte der Anrufer jedes Mal auf.
Das Haus lag still da. Doch dann geschah unten etwas äußerst Ungewöhnliches. Einige Augenblicke stellte er sich die Frage, was das war und ob es sich wirklich ereignete.
Er eilte zur Treppe. Sein Festnetztelefon läutete.
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51
Rosen kam kurz vor Mitternacht nach Hause, entschlossen, wenigstens noch ein paar Stunden zu schlafen. Aber es sollte eine schlaflose Nacht werden. Leise rief er: «Sarah?», als er zur Haustür hereinkam, aber er hörte nichts. Er spürte, dass sie nicht im Erdgeschoss war.
Er ging sofort die Treppe hinauf. Sein Rücken tat weh, und eine irrationale Angst trommelte mit ihren Fingern von innen gegen seinen Kopf. Im Schlafzimmer lag sie, bei eingeschaltetem Nachttischlämpchen schlafend. Sie schlug die Augen auf und lächelte ihn an.
«Du kommst spät, David.» Ihre Stimme war schwer vor Müdigkeit.
Er hängte sein Jackett über einen Kleiderbügel und dachte: Solange ich lebe, werde ich diese Frau nie für etwas Selbstverständliches halten.
«Es war ein Traum von mir …», sagte sie.
Er küsste sie, und sie schloss die Augen, als trage der Schlaf sie davon. Er war in Versuchung, sie zu drängen, ihren Gedanken zu Ende zu führen, aber im Laufe der Jahre hatte er gelernt, wie wichtig es war, den Mund zu halten und ihr Raum zu lassen, wenn ihm tausend Fragen durch den Kopf schwirrten.
Er setzte sich auf die Bettkante und zog die Schuhe aus, ein erschöpfter Ehemann. Sie öffnete langsam die Augen und richtete ihren müden Blick auf ihn.
«Ich wollte das Innere der pränatalen Abteilung wie meine eigene Hosentasche kennen. Jede Fliese auf dem Boden, jede Lampe an der …»
Decke. Er öffnete seinen Krawattenknoten und wartete ab.
«Ich wollte in die Sprechstunde gehen und mich untersuchen lassen, herausfinden, wie unser Baby wächst, und ich weiß, David, dass du das auch wolltest. Aber jetzt will ich überhaupt nicht mehr ins St Thomas’s gehen. Ich wollte dir eigentlich nichts davon sagen. Aber ich habe Angst vor dem, was ich herausfinden werde.»
Sie redete langsam, und inzwischen war er beinahe ausgezogen.
«Ich weiß, wie gravierend das ist, was sich derzeit bei deiner Arbeit tut, wie sich alles zuzuspitzen scheint, und ich habe mir selbst versprochen, dir nichts zu sagen, aber das schaffe ich nicht. Das Krankenhaus hat mich angerufen. Ich muss dorthin. Es gibt ein Problem mit dem Baby, das hat sich durch die Blutuntersuchungen herausgestellt.»
Im selben Augenblick überwältigten ihn plötzliche Angst und Enttäuschung. Im nächsten Moment wandte er sich Sarah zu, das Gesicht eine gelassene Maske.
«Wann ist der Termin?»
«Am Morgen. Um 9.40 Uhr.»
«Wer hat dich angerufen, Sarah?» Er legte ihr die Hand auf den Handrücken und unterdrückte die Sorge, die ihre Worte ausgelöst hatten.
«Es war ein Arzt … Dr. Brian Reid.»
«Es war kein Anruf der Sprechstundenhilfe oder der Zentrale für Terminvergabe?»
«Nein, es war ein Arzt. Dr. Reid, Dr. Brian Reid.»
«Gehört er zur Abteilung für Gynäkologie?», fragte Rosen.
«Er ist kein Gynäkologe, er arbeitet in der Abteilung für Hämatologie, Dr. Dempsey hat mich an ihn weitergereicht. Sie tun mir einen Gefallen.»
«Morgen früh um 9.40 Uhr?»
«Dr. Reid schickt jemanden, der mich am Haupteingang der Hämatologie abholt, im ersten Stock des Nordflügels.»
«Dann komme ich mit», sagte Rosen. Sie schloss die Augen, und die neutrale Maske rutschte von seinem Gesicht.
«Ich kann allein hingehen. Ich muss einfach nur Bescheid wissen.»
«Ich begleite dich, Sarah. Ich kann die Arbeit für ein paar Stunden delegieren. Dr. Reid hat sonst nichts gesagt, oder?»
«Sie schleusen mich schnellstmöglich durch das System. Es besteht keine … unmittelbare Gefahr für das Baby.»
Sie drehte sich auf
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