Der Herr der Finsternis
nippte.
»Nicht zuletzt«, schwadronierte Shoky mit strenger Stimme weiter, »seid ihr gleich alt, du und Len. Zumindest fast. Wenn du nicht vorher stirbst, wird er in zwei, drei Jahren selbst Senior werden. Und falls er sich vorher nichts zuschulden kommen lässt, natürlich. Such dir lieber einen anderen Partner. Warum willst du dir das Leben unnötig schwer machen? Ich finde einen anständigen Junior für dich, dem gerade die ersten Flügel angepasst wurden. Und ich sorge dafür, dass euch keine schwierigen Aufgaben zugeteilt werden, solange dein Partner noch unsicher ist. Einverstanden?«
Schweigend kämpfte ich weiter mit dem Saft.
»Obendrein wird Len mit Sicherheit nicht lange gehorsam und hö f lich sein, Danka. Noch ist er froh, dass er den Freifliegern und unserer Strafe entkommen ist. In ein paar Tagen wird er sich jedoch fragen, warum er sich eigentlich einem Altersgenossen unterordnen sollte. Dann musst du entweder hart durchgreifen, wie es Kurt gemacht hat, oder dich mit einem aufsässigen Partner abfinden. Ich glaube, auf be i des kannst du gut und gern verzichten.«
Shoky tischte mir keine Lügen auf, das spürte ich. Was er sagte, glaubte er wirklich. Und anscheinend mochte er mich. Deshalb sollte ich mir seine Worte in Ruhe durch den Kopf gehen lassen. Meine Chancen, nach Hause zurückzukehren, schrumpften immer mehr. Und wenn ich die Absicht hatte, in dieser Stadt zu leben – sei es auch nur für eine Weile –, dann sollte ich mich nicht taub stellen, wenn mir jemand einen guten Rat gab.
Len hatte mich gerettet. Aber ich ihn auch. Und im ersten Moment hatte er mich sogar umbringen wollen.
Wenn ich mir jetzt einen anderen Partner wählen würde, dann …
»Es tut mir leid, Shoky«, sagte ich und sah ihm fest in die Augen.
»Das habe ich mir schon gedacht«, erwiderte er. »Aber ich musste dich warnen. Ich mag dich, Danka. Wenn du noch Junior wärst, würde ich dich zu meinem Partner machen.«
Da mir genau in diesem Moment jemand auf den Rücken schlug – und zwar nicht gerade freundlich, sondern eher provozierend –, kon n te ich auf dieses überraschende Kompliment nicht mehr antworten.
Hinter mir stand der Junge, der bei Shoky gewesen war, als Len und ich ihm am Stadtrand begegnet waren. Der finstere Blick, den er für mich übrig hatte, kam ganz bestimmt nicht von dem sauren Saft.
»Du bist ein sehr junger Senior, Danka«, erklärte er mit einem ang e deuteten Lächeln.
Um uns herum wurde es sofort still. Ich sah den Jungen an, musterte seinen Anzug, der spannte und ihm allmählich zu klein wurde. Dabei versuchte er verzweifelt, weniger kräftig auszusehen, als er war.
»Und du bist ein sehr erwachsener Senior«, erwiderte ich.
Er schnitt eine Grimasse. Ich hatte seinen wunden Punkt getroffen.
»Bist du sicher, dass du gut auf dich aufpassen kannst, Senior Da n ka?«
»Ja.«
Ein leichtes Zittern packte mich. Nur gut, dass es innerlich war und damit für die anderen nicht zu sehen.
»Willst du dich mit mir anlegen?«
»Auf der Stelle?«, fragte ich leise.
»Warum nicht?«
Als ich zum Aikido gegangen war, wurde uns dieser Angriff gleich zu Beginn beigebracht, noch vor dem eigentlichen Unterricht. Für den Fall, dass irgendein seltsamer Onkel die Absicht hatte, in einem dun k len Tordurchgang unsere Bekanntschaft zu schließen. Ohne aufzust e hen, trat ich zu.
Der andere klappte in der Mitte zusammen und hielt sich die Eier. Jetzt sprang ich vom Stuhl hoch, riss dabei mein Glas mit dem sauren Saft vom Tisch und baute mich vor dem anderen auf. Langsam richt e te sich mein Gegner wieder auf.
»Ich bringe dich um … «, zischte er.
Wie kann jemand nur so dämlich sein, mit voller Kraft zuzuschl a gen, wenn sein Gegner Aikido beherrscht? Ich wich zur Seite aus, packte den Arm meines Angreifers und korrigierte seinen Flug ein wenig. Anmutig segelte er am Tisch vorbei und knallte mit dem Kopf gegen das Eisengitter des Kamins.
Nach einer solchen Darbietung stehen nur die Helden aus asiatischen Karatefilmen wieder auf. Mein Kontrahent kannte diese Filme a n scheinend nicht, denn er machte keine Anstalten, wieder auf die Beine zu kommen. Das Feuer, das im Kamin loderte, ließ allerdings seine Haare leise knistern.
»Jemand sollte ihn von da wegziehen, bevor er in Flammen au f geht«, sagte ich, während ich mich wieder setzte.
Nach wie vor erfüllte Grabesstille den Raum. Shoky griff nach se i nem Glas, in dem noch etwas Wein war, nahm einen Schluck und reichte es an mich
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