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Der Herr der Finsternis

Der Herr der Finsternis

Titel: Der Herr der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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normaler Junge, eben Danka aus der siebten Klasse. Das wiederum brachte mich zum Lachen. Und deshalb zog ich das Schwert nicht.
    »Davor habe ich früher Angst gehabt«, flüsterte ich, während ich durch das Glas starrte. »Dass du mich nicht mehr lieb hast oder dass du stirbst. Aber jetzt weiß ich: Das Leben läuft anders. So oder so w ä re ich erwachsen geworden, nur halt später. Ich muss mein eigenes Leben leben, das ist mir jetzt klar. Wahrscheinlich tauge ich als Kind nicht viel. Sonst wäre ich wohl nicht so schnell erwachsen geworden. Warte noch ein bisschen, Mam, dann komme ich bestimmt zurück.«
    Das Glas trübte sich und vor mir erhob sich wieder eine harmlose Steinmauer. Außerdem erspähte ich nun einen schmalen, dunklen Gang, an dessen Ende ein schwaches Licht schimmerte. Ich machte einige Schritte hinein in die Finsternis.
    Es war sehr still. Der Gang schien unendlich lang und stockdunkel. Ich hielt es nicht länger aus – und nahm das Schwert in seiner Scheide in beide Hände, um weiter in die Finste r nis vorzudringen. Selbst durch die Lederscheide hindurch spürte ich, wie kalt die Klinge war.
    »Das mit der Dunkelheit ist doch bescheuert«, behauptete ich laut. »Die ist gar nicht schrecklich. Und dass ich kein Kind mehr bin, ist auch nicht schrecklich. Dieses ganze Gequatsche ist doch Blödsinn!«
    »Und was ist dann überhaupt noch von Bedeutung?«, erklang es vor mir. Wie angewurzelt blieb ich stehen.
    »Papa?« Ich brachte das Wort kaum über die Lippen.
    »Ja«, kam es aus der Dunkelheit zurück. »Wie bemerkenswert, dass du dich noch an mich erinnerst. Deine Mutter hast du ja schließlich auch, ohne mit der Wimper zu zucken, abgehakt.«
    »Wenn einer sie aus seinem Leben gestrichen hat, dann ja wohl du«, flüsterte ich, während ich versuchte, wenigstens etwas zu erkennen.
    »Ich habe mir nichts vorzuwerfen, Danka. Daran war unser Leben schuld. Das Leben von uns Erwachsenen. Aber das verstehst du noch nicht.«
    »Du kannst gar nicht hier sein!«, rief ich und streckte die Hand aus. Meine Finger berührten etwas, das sich warm und weich anfühlte. Mein Vater mochte Anzüge aus dünner Wolle und trug nur diese Di n ger. Trotzdem riss ich meine Hand zurück, als hätte ich eine Schlange angefasst.
    »Und warum nicht? Man hat mich über alles informiert. Ich weiß genau, warum du hier bist. Du willst Krieg spielen, nicht wahr, So h nemann?«
    »Nein«, hauchte ich.
    »Doch. Du bist schon immer so gewesen. Von klein auf hat es dir gefallen, alles kaputt zu machen und zu zerstören. Du bist von zu Hause weggelaufen … hast mich angelogen. Und ich konnte dich b e strafen, soviel ich wollte, bei dir hat nichts geholfen.«
    Ich wich einen Schritt zurück.
    »Willst du wissen, warum Mama und ich uns getrennt haben?«, fuhr mein Vater fort.
    »Nein!«, brüllte ich. Aber das überhörte mein Vater.
    »Deinetwegen, Danka. Deine Mutter weigerte sich, einen ordentl i chen, intelligenten Menschen aus dir zu machen. Alles hat sie dir durchgehen lassen. Ein Weichei hat sie aus dir gemacht. Aber jetzt bekommt sie die Quittung dafür präsentiert.«
    »Hau ab!«, schrie ich, während ich mich mit dem Rücken gegen die Wand presste. »Hau ab! Das ist gelogen!«
    »Das ist die Wahrheit. Und dieser Gedanke ist dir selbst doch auch schon gekommen, nachdem ich euch verlassen habe. Und jetzt willst du mich zum zweiten Mal wegjagen.«
    Ich brachte kein Wort heraus.
    »Hörst du schlecht?«, fragte mein Vater mich in fast zärtlichem Ton. »Das macht nichts, so oder so steht uns ein langes Gespräch bevor. Vielleicht ist es ja noch nicht zu spät, um aus dir einen anständigen Menschen zu machen. Ich werde es zumindest versuchen. Schließlich bist du mein Sohn. Da muss ich es einfach versuchen … Komm her!«
    »Weißt du eigentlich, was ich in der Hand halte?«
    »Ich ahne es, Danka. Aber du wirst mir nichts antun. Immerhin bin ich dein Vater.«
    »Das bist du nicht! Du bist bloß das Mieseste, was ich von meinem Vater denke.«
    »Was bildest du dir eigentlich ein, Sohnemann? Erinnerst du dich nicht mehr, was ich dir immer gesagt habe? Selbst der kleinste Feh l tritt wird bestraft. Du hast schon zu viel angerichtet, und wenn ich dich jetzt nicht auf die richtige Bahn bringe … «
    »Zeig dich, Papa!«, verlangte ich und merkte sofort, wie meine Angst verflog. Mein Vater schwieg. »Hast du etwa Angst, Papa?«, fragte ich. »Ja? Wovor denn? Vor dem Licht oder davor, dass ich dein Gesicht vergessen

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