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Der Herr der Finsternis

Der Herr der Finsternis

Titel: Der Herr der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Schwert. Mit dem Wahren Schwert. Die kleinen Ängste kannst du einfach überwinden und vertreiben. Aber die Wahre Angst musst du mit dem Wahren Schwert an der Wurzel kappen. Genau wie im richtigen Leben steht dir das Wahre Schwert auch im Labyrinth nur ein einziges Mal zur Verfügung.«
    »Okay. Ich werde aber sicherheitshalber mein Schwert des Gnoms Tuak mitnehmen«, sagte ich .
    »Du willst es wagen? Nun gut.« Der Händler zuckte bloß die Schu l tern. »Aber das Schwert des Tuak lässt du hier … Das Wahre Schwert duldet keine Konkurrenz. Das Lab y rinth musst du unbewaffnet durchwandern. Und ich fürchte, deine Augen verfügen dort nur über den normalen Blick.«
    Der Kater sprang vom Tisch und kam auf mich zu. Er rieb sich an meinen Beinen und sagte: »Lass uns von hier verschwinden, Danka. Wir kommen auch ohne das Wahre Schwert zurecht. Schließlich gibt es genug Zauberwaffen auf der Welt.«
    »Aber nur ein Wahres Schwert«, mischte sich der Händler ein.
    »Wo ist das Labyrinth?«, fragte ich.
    In diesem Moment löste sich das Sofa, auf dem ich saß, in Luft auf. Ich fiel hinein in die Dunkelheit, in bodenlose Tiefe …
    »Du bist bereits drin«, drang von oben kaum noch hörbar die Sti m me des Händlers zu mir herunter.

6 Das Labyrinth
    E in Labyrinth muss verschlungen sein, mit vielen Biegungen und tr ü gerischen Gängen. Das weiß jedes Kind.
    Dieses hier war anders. Es begann in einem kleinen, quadratischen Zimmer, aus dem es nur einen Ausgang gab, einen langen und ger a den Korridor, von dem kein weiterer Gang abzweigte. Hoch oben an der Wand steckten in geschmiedeten Eisenringen zwei brennende F a ckeln. Außerdem gab es in der Decke eine Luke, durch die ich ve r mutlich gefallen war. Sie war mit einem riesigen Vorhängeschloss verriegelt, und wenn ich nicht fantasierte, dann war es gerade eben eingerastet.
    Mitten im Raum lag ein Haufen flacher Steine. Daneben entdeckte ich ein Schwert in einer Lederscheide.
    Ich trat näher, um den Griff zu berühren. Es war ein sehr einfacher Griff, aus Holz. Ob das das Wahre Schwert war? Das stärkste Schwert weltweit?
    Der Griff vibrierte leicht unter meinen Fingern. Als ob das Schwert es gar nicht erwarten konnte, die Scheide zu verlassen. Nur, wozu sollte ich es in dieser Situation brauchen? Um den Haufen Steine o r dentlich aufzustapeln? Um das Schloss durchzuhauen und aus dem Labyrinth zu fliehen?
    Ich musste lachen: Klar, das stellte meine erste Prüfung dar – auch wenn sie total lächerlich war! Wenn ich wirklich Angst gehabt hätte, nicht zurückzukommen, wäre ich schon vor langer Zeit abgehauen. Schon damals, im Turm der Freiflieger, als ich die Verborgene Tür geöffnet hatte.
    Ich machte die Scheide an meinem Gürtel fest und lief den Gang hinunter. Da es nun weniger Fackeln gab, war es noch dunkler. Trot z dem konnte ich sehen, dass nirgendwo andere Gänge abzweigten.
    Der Gang führte mich in ein Zimmer mit einer Glaswand. Dahinter lag, beleuchtet von einer Schreibtischlampe, mein Zimmer. Am Schreibtisch saß meine Mutter.
    »Das ist eine Täuschung«, versicherte ich mir selbst. »Das ist die nächste Prüfung.«
    Meine Mutter hörte mich nicht. Und sie sah mich auch nicht, denn die Glaswand war für sie eine ganz normale Wand mit Tapete. Sie weinte nicht und hatte ein ruhiges Gesicht. Sie hatte ein Fotoalbum durchgeblättert, das jetzt auf dem Tisch lag. Vermutlich hatte sie das Album schon x-mal angeguckt und saß nun da und wusste nicht, was sie sonst noch tun konnte …
    Mit einem Mal verstand ich: Das, was mir das Labyrinth zeigte, stimmte. Meine Mutter saß tatsächlich so da. Oder hatte es zumindest getan, nachdem ich verschwunden war.
    Ich bräuchte jetzt nur das Glas zerhauen – und könnte nach Hause zurückkehren.
    »Warum erst jetzt?«, flüsterte ich wirr. »Warum hast du immer nur dann Augen für mich gehabt, wenn ich krank war, Mam? Und jetzt, wo ich weg bin … «
    Meine Mutter saß bewegungslos da. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich bloß noch ein erstarrtes Bild oder ein Foto sah. Meine Mutter wäre nämlich längst aufgestanden und hätte eine Freundin angerufen oder etwas gekocht. Ihr Leben blieb nicht stehen, nur weil ich ve r schwunden war. Es ging auch ohne mich weiter.
    Diesen Gedanken fand ich schrecklich. Er ließ meine Angst wac h sen. Ich wollte schon nach dem Schwert greifen, die Glaswand ze r trümmern, in mein Zimmer rennen, zu meiner Mutter …
    Ich wollte kein Flügelträger mehr sein, sondern ein ganz

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