Der Herr der Ohrringe (German Edition)
Herrscher, wie lauernd. »Und woher wisst ihr das?«
Der Gespensterfürst schlotterte stotternd: »Wir fliegen ja unentwegt über Filder und Gefelde hinweg, oh Rotorangenes Auge! Mit den Dino-Stuten, den geflügelten, die Ihr uns gegeben habt. Was nett von Euch ist, übrigens. Jedenfalls: Vor kurzem noch hörten wir den Grauen vor sich hinmurmeln, da er auf einer Wiese saß, darüber wir zirkulierten: ›Vay-ah 2 ! Der Eine! Der Ohrring, mein’ ich! Hoffentlich taucht der nicht mal bald wieder auf! Dann gibt’s aber Schwierigkeiten!‹«
So zitierte der Gespensterfürst, Saurum aber seufzte und sein Schwarzes Gesicht wirkte blass. »Beim Unterwelthammer! Ich würde zu gern wieder ein paar Schwierigkeiten machen. Irgendwie geht’s mir nicht richtig gut. Vielleicht sollte ich mal wieder etwas unternehmen, Hinterhältiges anzetteln: einen Eroberungskrieg, oder so. Wie wär’s mit einem Eroberungskrieg?« Und erwartungsvoll starrte er die Ohrringgespenster an.
»Wir könnten weit entlegene Länder erobern, oh Auge!«, schlug einer der Neun vor.
»Erobern. Hört sich gut an. Und es hört sich nicht nur an – es klingt sogar! Nämlich wie eine Möglichkeit, diesem Schwarzen Nichtstun zu entfliehen!« So lachte der Finsterfürst.
»Ohne den Einen, Chef? Das wird aber gar nicht so einfach!«, sprach der Gespensterfürst. »Wär’s nicht besser, wenn wir den hätten? Der hat doch so viel Macht ! Mit dem würd’ solcherlei sicherlich schneller von der Schwarzen Hand gehen!«
»Dann müssen wir ihn wiederfinden, verflucht und abgemäht!«, grölte Saurum in verwunderlicher Metaphorik.
»Den Einen?«
»Den Einen Ohrring, auf dass er abermals nur so baumelt in meinem Läppchen!«
Da grinsten die Neun Gespenster, denn sie wussten: Wenn der Eine wieder da wäre, würde es auch ihnen selber besser gehen. Sie hatten reichlich an Farbe verloren in den vergangenen Zeitaltern, und vollends glücklich fühlten sie sich nicht, im untoten Gebein. In geiler Vorfreude verzerrten sich ihre Gesichter, doch siehe! – sie blieben hässlich.
»So soll es sein, o Finsterster! Wir machen uns auf die Suche. Wir finden den Einen!«
»Das will ich euch raten, ihr Neun vom Schlottern! Fliegt man wacker los! Und passt mir auf den Grauen auf, und die anderen Überheblichen, die mit ihm unter einer Decke stecken – dass die nicht dazwischenfunken!« Und so entließ der Schattenkönig die Ohrringgespenster.
Kurz darauf rief Saurum andere Geister zu sich. Denn ihm war aufgefallen, dass der Ohrring nicht die einzige Kostbarkeit war, die er vermisste.
»Erstaunlich, was man alles so verlegen kann«, murmelte er vor sich hin.
Zweites Kapitel:
Der Schatten der Müdigkeit
Ja, wo war der Eine Ohrring, derjenige, den Saurum lieber nicht hätte verlieren sollen, wenn er denn in der Tat Düsterherrscher über die Mittelmäßige Welt zu werden trachtete?
»Ja, wo ist er, der Eine Ohrring? Jener, den der Meister des Bösen lieber nicht wiederfinden sollte, ansonsten wir großen Ärger hätten… Wo mag der Ohrring sein?«
So fragte Ganzhalb, der in Grau gekleidete Zauberer von Wassermagie, und es war eine rhetorische Frage, denn ihm war klar, dass nicht einer der Anwesenden die Antwort kannte. Da saßen sie in ihren schnörkelhaft geschnitzten Sitzen und wussten sich keinen anderen Rat als zu dösen: die Großen, vor denen Ganzhalb sprach. Ein weiteres Mal hatte sich der Erlesene Zirkel getroffen, eine Versammlung jener, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, Saurum die Stirn zu bieten: eine Zusammenkunft derjenigen, die unglaublich weise waren – oder zumindest die Weisheit bewiesen hatten, andere genau dies glauben zu machen. Sie hatten sich im Letzten Anheimelnden Haus östlich der Dunstberge versammelt, in Duchfal, dem legendenumrankten Sitz von Allround, dem Halb-Albernen.
Es war dort zum Beispiel Fahrduman der Weiße, der Oberste des Zauberer-Ordens, der Erste der Fünf Großen Magier, obendrein der Vorsitzende des Zirkels, und wie immer war er auch diesmal ganz in Weiß gewandet. Er hatte Ganzhalb ausnahmsweise eine kleine Rede zugestanden, denn eigentlich sprach er am liebsten selber. Dass er unlängst zu einem niederträchtigen Verräter geworden war und sich zu Hause in seinem Eisengarten mit naturtrübenden Experimenten und unsäglichen Freveleien beschäftigte, die so weit gingen, dass er gar stählerne Blumen züchtete und abgeschnittene Ohren sammelte, um den Einen Ohrring zu finden – das alles hatte er den anderen
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