Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
Verstand, denn als ihm zuletzt kein Rätsel mehr einfallen wollte, berührte seine Hand den Ring, den er aufgehoben und seither vergessen hatte, und er rief: Was hab ich da in meiner Tasche? Das bekam Gollum nicht heraus, obwohl Bilbo ihn dreimal raten ließ.
Nun sind zwar die Gelehrten geteilter Meinung, ob dies letzte nach den strengen Regeln des Spiels nicht nur eine schlichte »Frage« und kein Rätsel war; doch stimmen alle darin überein, dass Gollum, nachdem er sich darauf eingelassen und die Antwort zu erraten versucht hatte, an sein Versprechen gebunden war. Und Bilbo drängte ihn, Wort zu halten; denn ihm kam der Gedanke, dass dieser schleimige Bursche ein falsches Spiel treiben könnte, obwohl doch solche Versprechen von alters her als heilig galten und alle bis auf die Verruchtesten sich scheuten, sie zu brechen. Nach all den Zeiten, die er allein im Dunkeln gehaust hatte, war Gollums Herz schwarz und voller Tücke. Er machte sich davon und kehrte auf seine Insel zurück, von der Bilbo nichts wusste und die nicht weit entfernt im dunklen Wasser lag. Dort, glaubte er, liege sein Ring. Er war nun hungrig und wütend, und wenn er seinen »Schatz« erst am Finger hätte, brauchte er keine Waffe mehr zu fürchten.
Aber der Ring war nicht auf der Insel; er hatte ihn verloren, er war weg! Er schrie, dass es Bilbo kalt den Rücken herunterlief, obwohl er noch nicht begriffen hatte, was geschehen war. Aber Gollum hatte mit einem Mal die Lösung des Rätsels gefunden – zu spät. Wasss hat er in seinen Tassschen? schrie er. Seine Augen leuchteten wie eine grüne Flamme, als er zurückgehastet kam, um den Hobbit zu töten und sich seinen »Schatz« wieder zu holen. Eben noch rechtzeitig erkannte Bilbo die Gefahr und rannte blindlings den Gang hinauf, fort vom Wasser; und wieder rettete ihn sein Glück. Denn während er lief, steckte er die Hand in die Tasche, und unversehens glitt ihm der Ring auf den Finger. So kam es, dass Gollum an ihm vorüberrannte, ohne ihn zu sehen, und dann weiter zum Ausgang hin, um den »Dieb« nicht entkommen zu lassen. Vorsichtig schlich Bilbo ihm nach und hörte ihn fluchen und im Selbstgespräch über seinen »Schatz« reden; und aus dem Gehörten erriet Bilbo die Wahrheit und schöpfte im Dunkeln neue Hoffnung: Er selbst hatte den wunderbaren Ring gefunden und damit eine Chance, Gollum und den Orks zu entkommen.
Schließlich machten sie Halt vor der im Dunkeln kaum erkennbaren Öffnung eines Durchgangs zum unteren Tor der Minen, auf der Ostseite des Gebirges. Dort hockte Gollum sich hin, sprungbereit, schnüffelnd und horchend; und Bilbo fühlte sich versucht, ihn mit seinem Schwert zu erschlagen. Aber Mitleid hielt ihn davon ab. Den Ring, in dem seine einzige Hoffnung lag, wollte er zwar behalten, doch nicht um mit seiner Hilfe die elende Kreatur umzubringen, die gegen ihn nun ziemlich wehrlos war. Endlich nahm er all seinen Mut zusammen, sprang im Dunkeln über Gollum hinwegund flüchtete den Gang hinunter, verfolgt von den Hass- und Verzweiflungsschreien seines Feindes: Dieb, Dieb, Beutlin! Wir hassen ihn auf immerdar!
Merkwürdig ist nun, dass dies nicht die Geschichte ist, so wie Bilbo sie seinen Gefährten zuerst erzählte. Ihnen sagte er, Gollum habe versprochen, ihm ein Geschenk zu machen, wenn er das Spiel gewänne; aber als Gollum es von seiner Insel holen wollte, sei das Kleinod weg gewesen: ein Zauberring, den man ihm vor langer Zeit zum Geburtstag geschenkt hatte. Bilbo habe erraten, dass dies derselbe Ring war, den er gefunden hatte, und weil er das Spiel gewonnen hatte, habe er ihm nun auch von Rechts wegen gehört. In seiner schwierigen Lage habe er aber von seinem Fund nichts gesagt und sich von Gollum statt des Geschenks als Belohnung ausbedungen, dass er ihm den Ausweg zeigte. Diesen Bericht nahm Bilbo in seine Memoiren auf, und er selbst scheint nie etwas daran geändert zu haben, nicht einmal nach der Ratsversammlung bei Elrond. Offenbar stand er auch noch in der Erstfassung des Roten Buchs, ebenso wie in mehreren Abschriften und Kurzfassungen. Doch viele Abschriften enthalten (als Alternative) die richtige Darstellung, die sicherlich aus Aufzeichnungen von Frodo oder Samweis stammt, die beide die Wahrheit kannten, obwohl es ihnen widerstrebt zu haben scheint, irgendetwas von dem alten Hobbit selbst Geschriebenes zu streichen.
Gandalf jedoch glaubte Bilbos Geschichte gleich beim ersten Mal nicht, als er sie hörte, und wurde neugierig, was es mit dem Ring
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