Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
Versammlung erscheinen werden, begriff ich erst soeben. Sméagol, der nun Gollum genannt wird, ist entkommen.«
»Entkommen?«, rief Aragorn. »In der Tat, das ist eine böse Nachricht. Ich fürchte, es wird uns alle noch bitter reuen. Wie konnte Thranduils Volk uns so enttäuschen?«
»Nicht durch nachlässige Bewachung«, sagte Legolas, »vielleicht aber durch zu viel Freundlichkeit. Und wir befürchten, dass der Gefangene Beihilfe von außen bekam, von anderen, die über unser Tun und Lassen mehr wissen, als uns lieb ist. Wie Gandalf uns aufgetragen, bewachten wir diese Kreatur Tag und Nacht, so sehr uns die Aufgabe auch lästig wurde. Doch Gandalf hatte uns Hoffnung gemacht, dass er noch zu heilen sei, und darum brachten wir’s nicht übers Herz, ihn immer in den unterirdischen Verliesen eingesperrt zu halten, wo er nur wieder auf seine alten finsteren Gedanken verfallen konnte.«
»So zartfühlend wart ihr nicht gegen mich«, sagte Glóin mit blitzenden Augen in Erinnerung an seine eigene Gefangenschaft in den tiefen Kellern unter dem Palast des Elbenkönigs.
»Mein lieber Freund Glóin!«, sagte Gandalf. »Bitte hör davon auf und unterbrich ihn nicht! Das war ein bedauerliches Missverständnis, das längst ausgeräumt ist. Wenn alles, was Elben und Zwerge einander vorzuwerfen haben, hier zur Sprache kommen sollte, wäre es besser, diese Ratsversammlung gleich abzubrechen.«
Glóin stand auf und machte eine Verbeugung, und Legolas fuhr fort. »Bei schönem Wetter brachten wir Gollum in den Wald hinaus, und dort kletterte er gern auf einen hohen Baum, der vereinzelt und von den anderen entfernt stand. Oft ließen wir ihn bis zu den höchsten Ästen hinaufsteigen, wo er den Wind spüren konnte; aber immer stand dann eine Wache unter dem Baum. Eines Tages weigerte er sich, wieder herunterzukommen, und die Wächter hatten keine Lust, ihm nachzusteigen, denn er konnte sich mit den Füßen ebenso festklammern wie mit den Händen. Also blieben sie bis spät in die Nacht unter dem Baum sitzen.
In derselben Nacht, einer Sommernacht, doch ohne Mond und Sterne, wurden wir unversehens von Orks angegriffen. Nach einer Weile konnten wir sie verjagen; sie waren zwar zahlreich und streitbar, aber sie kamen von jenseits des Gebirges und kannten sich nicht aus im Wald. Nach der Schlacht stellten wir fest, dass Gollum verschwunden war, seine Bewacher erschlagen oder gefangen genommen. Da schien es uns klar, dass der Angriff dem Zweck gedient hatte, ihn zu befreien, und dass er vorher davon wusste. Wir haben keine Ahnung, wie dies bewerkstelligt ward; doch Gollum ist schlau, und der feindlichen Späher sind viele. Die finsteren Kreaturen, die in dem Jahr, als der Drache getötet ward, vertrieben wurden, sind in größerer Zahl zurückgekehrt, und außerhalb unseres Reichs ist der Düsterwald wieder eine üble Gegend.
Gollum wieder einzufangen, ist uns nicht gelungen. Wir fanden seine Spur zwischen den Spuren vieler Orks, und sie führte tief in den Wald hinein nach Süden. Aber bald verloren wir sie, und wir wagten nicht, die Jagd fortzusetzen, weil wir uns Dol Guldur näherten, und das ist noch immer ein sehr böser Ort, dessen Umgebung wir meiden.«
»Also, er ist fort«, sagte Gandalf. »Ihn noch einmal zu suchen, haben wir keine Zeit. Soll er tun, was er will! Aber es kann sein, dass er noch eine Rolle spielen wird, die weder er noch Sauron vorhergesehen haben.
Und nun werde ich auf Galdors nächste Fragen antworten. Was sagt Saruman? Welchen Rat gibt er uns in dieser Not? Dies muss ich ausführlich berichten, denn nur Elrond hat es schon gehört, undauch das nur kurz; es wird jedoch bei allem, worüber wir beschließen müssen, ins Gewicht fallen. Es ist das letzte Kapitel der Geschichte des Ringes, soweit sie bisher gediehen ist.
Ende Juni war ich im Auenland, doch eine Wolke der Furcht drückte mir aufs Gemüt, und ich ritt zur Südgrenze des Ländchens, in der Vorahnung einer Gefahr, die mir noch verborgen blieb, aber näher rückte. Dort erreichten mich Nachrichten vom Krieg und der Niederlage in Gondor, und als ich von dem Schwarzen Schatten erfuhr, wurde mir’s kalt ums Herz. Doch ich traf niemanden außer ein paar Flüchtlingen aus dem Süden. Sie schienen mir von einer Furcht erfüllt, über die sie nicht sprechen mochten. Ich wandte mich nach Nordosten und ritt den Grünweg entlang. Nicht weit von Bree traf ich einen Reisenden, der auf der Böschung an der Straße saß, sein grasendes Pferd neben sich. Es
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