Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
schließlich zu ihren Lenkern und Leitern werden. Wir können abwarten, wir können unsere Gedanken für uns behalten; und im aufrichtigen Bedauern der einen oder anderen Untat, die nebenher geschehen mag, werden wir doch unser höchstes und letztes Ziel nicht aus demAuge verlieren: Wissen, Herrschaft, Ordnung – all das, wonach wir bislang vergeblich gestrebt haben, eher behindert als unterstützt durch schwache oder faule Freunde. In unseren Zielen müsste und würde sich nichts wirklich ändern, nur in unseren Mitteln.‹
›Saruman‹, sagte ich, ›solche Reden hab ich schon öfter gehört, aber nur von Mordors Sendboten, zur Täuschung der Unwissenden. Hast du mich von so weit herkommen lassen, nur um mein Ohr zu ermüden?‹
Er sah mich schräg an und überlegte einen Moment. ›Nun, ich sehe, dass diese kluge Entscheidung dir nicht behagt‹, sagte er. ›Noch nicht? Nicht, solange noch eine bessere Möglichkeit offen steht?‹
Er trat dicht heran und legte seine lange Hand auf meinen Arm. ›Und warum nicht, Gandalf?‹ flüsterte er. ›Warum nicht? Der Herrscherring? Könnten wir über den verfügen, fiele die Macht an uns. Das ist der wahre Grund, warum ich dich gerufen habe. Denn viele halten in meinem Dienst die Augen offen, und darum glaube ich, dass du weißt, wo sich dieses kostbare Ding jetzt befindet. Ist dem nicht so? Oder warum sonst fragen die Neun nach dem Auenland, und was hast du dort zu schaffen?‹ Als er das sagte, leuchtete ihm plötzlich die nackte, nicht mehr zu verhehlende Gier aus den Augen.
›Saruman‹, sagte ich und trat ein paar Schritte von ihm weg, ›wie du wohl weißt, lässt sich der Ring nicht auf zwei Hände zugleich stecken, also spar dir dein Wir! Von mir bekommst du weder den Ring noch irgendeine Auskunft über ihn, seit ich nun weiß, was du im Sinn hast. Du warst der Oberste des Rates, aber jetzt hast du dich selbst entlarvt. Und die Wahl, vor die du mich stellst, scheint zu erfordern, dass ich mich entweder Sauron unterwerfe oder dir. Dazu sag ich: keinem! Hast du noch andere Entscheidungen, die du mir empfiehlst?‹
Nun wurde er kalt und drohend. ›Gut‹, sagte er. ›Ich habe nicht erwartet, dass du mehr Verstand beweisen würdest, nicht mal zu deinem eigenen Vorteil; doch ich wollte dir die Chance geben, mir freiwillig entgegenzukommen, und dir damit viel Kummer undSchmerz ersparen. Die dritte Möglichkeit für dich ist, hier zu bleiben bis zum Ende.‹
›Bis zu welchem Ende?‹
›Bis du mir sagst, wo der Eine zu finden ist. An Mitteln, dich zu überzeugen, soll es mir nicht fehlen. Oder bis er trotz deiner Weigerung gefunden wird und der Gebieter Zeit hat, sich mit leichteren Aufgaben zu befassen: zum Beispiel sich eine angemessene Belohnung für die Widersetzlichkeit und Unverschämtheit Gandalfs des Grauen auszudenken.‹
›Die Aufgabe könnte sich als gar nicht so leicht erweisen‹, sagte ich. Er lachte mich aus, denn meine Worte waren leeres Gerede, und er wusste es.
Sie ergriffen mich und brachten mich hoch auf die Zinne des Turms, dorthin, wo Saruman die Sterne zu betrachten pflegte. Der einzige Weg hinab ist eine schmale Treppe mit Tausenden von Stufen, und der Talgrund scheint sehr weit weg zu sein. Ich schaute hinab und sah das Tal, das früher einmal grün und freundlich war, nun voller Gruben und Schmiedewerkstätten. Wölfe und Orks waren darin untergebracht, denn Saruman stellte auf eigene Rechnung eine große Streitmacht auf, bis jetzt noch als Saurons Rivale und nicht in seinen Diensten. Über all diesen Anlagen hing dunkler Qualm, der auch die Seiten des Orthanc einhüllte. Ich stand allein auf einer Insel in den Wolken, ohne eine Möglichkeit zu fliehen; und es wurden bittere Tage. Die Kälte ging mir durch und durch, und ich hatte nicht mal viel Platz zum Aufundabgehen, als ich drüber nachgrübelte, was die Reiter im Norden anstellen könnten.
Dass die Neun tatsächlich wieder auftraten, dessen war ich sicher, ganz unabhängig von Sarumans Reden, die ja auch Lügen sein konnten. Lange bevor ich Isengard erreichte, hatte ich unterwegs schon Nachrichten bekommen, die nicht falsch sein konnten. Ich bangte um meine Freunde im Auenland, hatte aber noch immer etwas Hoffnung. Ich hoffte, dass Frodo sofort aufgebrochen war, wie ich es ihm in meinem Brief dringend geraten hatte, und dass er Bruchtal erreicht hatte, ehe die Verfolger auf seiner Spur waren.Aber sowohl meine Sorge wie meine Hoffnung haben sich als unbegründet erwiesen.
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