Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
»Es ist ein Mithrilhemd. Reines Mithril! Von einem so schönen habe ich nie auch nur gehört, geschweige denn, es gesehen. Ist dies das Hemd, von dem Gandalf gesprochen hat? Dann hat er den Preis noch unterschätzt. Aber es war ein wohl angebrachtes Geschenk.«
»Ich hab mich immer gewundert, was du mit Bilbo für Heimlichkeiten hattest, wenn ihr in seinem kleinen Zimmer wart«, sagte Merry. »Es lebe der alte Hobbit! Ich mag ihn jetzt mehr denn je. Hoffentlich können wir ihm das mal alles erzählen.«
Frodo hatte eine schwarz unterlaufene Quetschung an der rechten Seite und an der Brust. Unter dem Harnisch trug er noch ein Hemd von weichem Leder, und an einer Stelle hatten die Ringe es durchschnitten und waren ins Fleisch gepresst worden. Auch seine linke Seite, mit der er gegen die Wand geschleudert worden war, wies Schrammen und Prellungen auf. Während die anderen das Essen zubereiteten, wusch Aragorn die angegriffenen Stellen mit dem Athelas-Sud aus. Der würzige Geruch verbreitete sich über die Schlucht, und alle, die sich über das dampfende Wasser beugten, fühlten sich erfrischt und gestärkt. Bald spürte Frodo, wie der Schmerz nachließ, und er konnte wieder leichter atmen; allerdings blieben die wunden Stellen noch mehrere Tage geschwollen und gegen jede Berührung empfindlich. Aragorn band ihm noch einige Bäusche von weichem Tuch an die Seite.
»Der Harnisch ist wunderbar leicht«, sagte er. »Zieh ihn wieder an, wenn er dich nicht stört! Ich bin heilfroh, dass du ein solches Hemd hast. Leg es auch zum Schlafen nicht ab; es sei denn, dein Schicksal führt dich für eine Weile an einen Ort, wo du in Sicherheit bist; doch das wird ein seltenes Glück sein, solange diese Fahrt dauert.«
Als sie gegessen hatten, löschten sie das Feuer und beseitigten alle seine Spuren. Dann stiegen sie aus der Schlucht und machten sich auf den Weg. Sie waren noch nicht weit gegangen, als die Sonne hinter den Höhen im Westen versank und die großen Schatten die Berghänge hinabkrochen. Dämmerlicht lag um ihre Füße, und aus den Niederungen stiegen Nebel auf. Im Osten verschwammen die fernen Ebenen und Wälder im blassen Abendlicht. Sam und Frodo, die sich erholt und gestärkt fühlten, konnten das flotte Tempo mithalten, und mit nur einer kurzen Pause führte Aragorn sie noch fast drei Stunden weiter.
Es war nun tiefe Nacht. Zwar standen viele Sterne am klaren Himmel, aber die dünne Sichel des abnehmenden Mondes würde erst später aufgehen. Frodo und Gimli gingen als letzte hinter den anderen, mit leisen Schritten und ohne zu reden; sie horchten, ob auf der Straße Geräusche hinter ihnen herkämen. Endlich brach Gimli das Schweigen.
»Kein Laut, bis auf den Wind«, sagte er. »Orks sind nicht in der Nähe, oder meine Ohren müssten aus Holz sein. Man kann hoffen, dass sie sich damit zufrieden geben, uns aus Moria verjagt zu haben. Und vielleicht war das alles, was sie wollten; und mit uns – oder mit dem Ring – haben sie gar nichts weiter im Sinn. Allerdings verfolgen die Orks ihre Feinde oft viele Wegstunden weit in die Ebene hinein, wenn sie einen gefallenen Hauptmann zu rächen haben.«
Frodo gab keine Antwort. Er betrachtete Stich: Die Klinge schimmerte nicht. Und doch, er hatte etwas gehört oder glaubte, etwas gehört zu haben. Sobald die Schatten um sie gefallen waren und die Straße hinter ihnen im Dämmerlicht lag, hatte er wieder das rasche Tapsen von Füßen gehört. Jetzt eben hörte er es wieder. Raschdrehte er sich um. Zwei winzige Lichtpunkte waren hinter ihnen; zumindest glaubte er für einen Moment, sie gesehen zu haben, aber sofort huschten sie beiseite und waren verschwunden.
»Was ist?«, sagte der Zwerg.
»Ich weiß nicht«, antwortete Frodo. »Mir war so, als hätte ich Schritte gehört und etwas leuchten gesehen – wie Augen. Es ist mir schon oft so vorgekommen, seit wir Moria betreten haben.«
Gimli blieb stehen, bückte sich und legte das Ohr an den Boden. »Ich höre nichts als die Nachtgespräche der Pflanzen und Steine«, sagte er. »Komm, beeilen wir uns! Die andern sind schon außer Sicht.«
Ein kühler Nachtwind blies ihnen talaufwärts entgegen. Vor ihnen stieg ein breiter grauer Schatten auf, und unablässig hörten sie ein Rauschen wie von Pappeln im Wind.
»Lothlórien!«, rief Legolas. »Wir sind am Saum des Goldenen Waldes. Ach, dass es noch Winter ist!«
Unter dem Nachthimmel ragten die Bäume hoch vor ihnen empor, wölbten sich über die Straße und den Bach
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