Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
allen, deren Boot mit dem Strom schwimmt. Dich aber, Gimli Glóinssohn, schätze ich glücklich, denn du nimmst deinen Verlust freiwillig hin; du hättest auch eine andere Wahl treffen können. Aber deine Gefährten hast du nicht im Stich gelassen, und der Lohn wenigstens ist dir gewiss, dass du die Erinnerung an Lothlórien für immer rein und ungetrübt im Herzen tragen kannst, und nie wird sie verblassen oder schal werden.«
»Mag sein«, sagte Gimli, »und ich danke dir für deine Worte. Wahr sind sie, gewiss, doch jede solche Wahrheit ist kalter Trost. Nicht Erinnerung ist es, wonach das Herz begehrt. Erinnerung ist nur ein Spiegel, und sei er auch so rein wie der Kheled-zâram. So sagt mir’s mein Zwergenherz. Vielleicht seht ihr Elben das anders. Für euch, so hab ich gehört, kommt die Erinnerung dem wachen Zustand näher als dem Traum. Nicht so für uns Zwerge.
Doch reden wir nicht mehr davon. Vorsicht, das Boot! Es liegt zu tief im Wasser mit all dem Gepäck, und der Große Strom fließt schneller. Ich will meinen Kummer nicht im kalten Wasser ersäufen.« Er nahm ein Paddel zur Hand und steuerte näher zum westlichen Ufer, wie es Aragorn, dessen Boot den andern voranfuhr, schon getan hatte.
So machten sich die Gefährten auf ihren langen Weg, den breiten, schnell fließenden Strom abwärts, immer nach Süden. Kahle Wälder standen an beiden Ufern, und von dem Land dahinter war nichts zu sehen. Der Wind erstarb, und das Wasser strömte lautlos dahin. Kein Vogelruf durchbrach die Stille. Die Sonne überzog sich mit einem Dunstschleier, als der Tag sich neigte, bis sie wie eine weißePerle am blassen Himmel stand. Dann versank sie im Westen, und früh kam die Dämmerung, gefolgt von einer grauen, sternlosen Nacht. Bis in die stillen Stunden der Dunkelheit fuhren sie weiter, die Boote immer dicht unter den überhängenden Schatten der Wälder am Westufer haltend. Große Bäume glitten wie Gespenster vorüber, streckten aus dem Nebel ihre krummen, durstigen Wurzeln ins Wasser. Es war öd und kalt. Frodo saß still und hörte dem leisen Plätschern und Glucksen des Wassers gegen die Baumwurzeln und das Treibholz am Ufer zu, bis ihm der Kopf auf die Brust sank und er in einen unruhigen Schlaf fiel.
NEUNTES KAPITEL
DER GROSSE STROM
S am weckte ihn. Er lag warm eingepackt unter hohen grauborkigen Bäumen in einem stillen Winkel der Wälder am Westufer des Großen Stroms, des Anduin. Er hatte die Nacht durchgeschlafen. Zwischen den kahlen Ästen graute schon ein wenig der Morgen herein. Ganz in der Nähe brachte Gimli ein kleines Feuer in Gang.
Bevor es vollends Tag war, fuhren sie weiter. Die meisten von ihnen hatten es nicht eilig, nach Süden zu kommen; es war ihnen nur recht, dass es mit der Entscheidung, die sie spätestens dann treffen mussten, wenn sie zum Rauros-Fall und der Insel Zinnenfels kämen, noch einige Tage Zeit hatte. Und so ließen sie sich vom Fluss in dem ihm eigenen Tempo dahintragen: Die Gefahren, denen sie entgegengingen, egal welchen Weg sie am Ende einschlagen mochten, konnten gut noch etwas warten. Aragorn ließ sie bequem mit der Strömung treiben, um ihre Kräfte für spätere Anstrengungen zu schonen. Aber er bestand darauf, wenigstens jeden Morgen früh aufzubrechen und bis spät abends zu fahren; denn er ahnte wohl, dass die Zeit drängte und dass der Dunkle Herrscher nicht müßig geblieben war, während sie sich von Lórien nicht trennen konnten.
Dennoch sahen sie an diesem Tag nichts von Feinden, und auch am nächsten nicht. Eine dumpfe graue Stunde ging hin wie die andere, ohne dass etwas geschah. Am dritten Tag begann das Land an den Ufern sich allmählich zu verändern: Die Wälder lichteten sich und hörten schließlich ganz auf. Am Ostufer zur Linken sahen sie lang gezogene, formlose Hänge, die nach hinten zu immer höher anstiegen. Braun und verdorrt sahen sie aus, als wäre ein Feuer über sie hinweggegangen und hätte bis auf das letzte grüne Hälmchen alles verzehrt: eine Einöde, in der nicht mal ein Baumstumpf oder ein steiler Felsen die Leere für einen Moment unterbrach. Dies waren die Braunen Lande, die sich weit und wüst zwischen dem südlichen Düsterwald und dem Bergland der Emyn Muil erstreckten. Welche Seuchen, Kriege oder Untaten des Feindes die ganze Gegend so verwüstet hatten, wusste selbst Aragorn nicht.
Auch im Westen, rechts von ihnen, war das Land baumlos, aber es war flach und hatte an vielen Stellen weite Grasflächen. Auf dieser Seite des
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