Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
– wenn wir dann überhaupt noch aufwachen und etwas spüren. Und darauf wollte ich hinaus. Nicht nötig, Streicher oder die andern heute Nacht damit zu behelligen. Ich werde Wache halten. Schlafen kann ich morgen, denn im Boot bin ich sowieso nur Gepäck, könnte man sagen.«
»Könnte man«, sagte Frodo, »aber ich könnte sagen, ›Gepäck mit Augen‹. Gut, halte Wache, aber nur, wenn du mir versprichst, mich für die zweite Hälfte der Nacht zu wecken, wenn nicht schon vorher etwas passiert.«
Mitten in der Nacht tauchte Frodo aus der Tiefe eines dunklen Schlafs auf. Sam schüttelte ihn. »Ist eine Schande, dass ich dich wecken muss«, flüsterte er, »aber du hast’s gesagt. Gibt nichts zu berichten, oder nicht viel. Mir war, als hätt ich vor einer Weile ein leises Plätschern und Schnüffeln gehört; aber so komische Geräusche hört man ja viele, nachts an einem Fluss.«
Er legte sich hin, und Frodo setzte sich auf, in seine Decken gehüllt, und wehrte den Schlaf ab. Minuten vergingen, oder warenes Stunden, und nichts geschah. Gerade wollte er der Versuchung nachgeben, sich wieder hinzulegen, als etwas Dunkles, kaum sichtbar, nah an eines der vertäuten Boote heranschwamm. Etwas Langes, Fahlweißes schoss heraus, eine Hand, die nach dem Dollbord griff; zwei blasse Lampenaugen blickten kalt leuchtend in das Boot, dann hoben sie sich und sahen Frodo an. Sie waren ein paar Schritt entfernt, und Frodo hörte ein leise zischelndes Luftholen. Er stand auf und zog Stich aus der Scheide, starrte in die Augen. Sofort erloschen sie. Wieder ein Zischeln, ein Platschen, und ein dunkles Etwas, das auch ein Stück von einem Baumstamm hätte sein können, schoss stromabwärts in die Nacht hinaus. Aragorn rührte sich im Schlaf, drehte sich herum und setzte sich auf.
»Was ist los?« flüsterte er, kam auf die Beine und trat zu Frodo. »Ich hab im Schlaf gespürt, dass irgendwas war. Warum hast du das Schwert gezogen?«
»Gollum«, sagte Frodo. »Vermute ich wenigstens.«
»Aha!«, sagte Aragorn. »Du weißt also Bescheid über unseren kleinen Verfolger? Er ist uns durch ganz Moria hinterhergetappt und dann bis hinunter zur Nimrodel. Seit wir die Boote haben, liegt er auf einem Baumstamm und paddelt mit Händen und Füßen. Ein paar Mal hab ich versucht, ihn nachts zu erwischen, aber er ist schlau wie ein Fuchs und glatt wie ein Aal. Ich hatte gehofft, durch die Flussfahrt könnten wir ihn abschütteln, aber das Wasser scheint sein Element zu sein.
Morgen werden wir versuchen müssen, schneller zu fahren. Leg dich hin, ich übernehme die Wache für den Rest der Nacht. Wenn ich ihn nur zu fassen bekäme, den Halunken! Er könnte uns nützen. Aber wenn ich ihn nicht kriege, müssen wir sehn, dass wir ihn loswerden. Er ist sehr gefährlich. Nicht nur, weil er auf eigene Faust zu jedem Meuchelmord bei Nacht fähig ist, sondern weil er auch alle Feinde weit und breit auf unsere Fährte bringen kann.«
Die Nacht verging, ohne dass Gollum sich noch einmal bemerkbar machte. Von da an hielten sie alle scharf nach ihm Ausschau, abersolange die Bootsfahrt dauerte, sahen sie nichts mehr von ihm. Wenn er ihnen noch immer folgte, dann mit viel Schläue und Vorsicht. Aragorn ließ sie nun über weite Strecken hin paddeln, und die Ufer zogen rasch vorüber. Vom Land ringsum sahen sie wenig, denn meistens fuhren sie nachts und in der Dämmerung, während sie bei Tage ruhten, immer so gut versteckt, wie es das Gelände erlaubte. So verging die Zeit bis zum siebenten Tag ohne Zwischenfälle.
Der Wind kam noch immer von Osten, und der Himmel war grau bedeckt, doch als der Abend in die Nacht überging, klarte es im Westen auf, und unter den grauen Wolkenufern bildeten sich Teiche von dünnem Licht, gelblich und blassgrün: Und wie aus fernen Wassern schimmerte dort die weiße weiße Sichel des Neumonds hindurch. Sam betrachtete den Himmel und zog die Stirn kraus.
Am nächsten Tag begann sich die Landschaft zu beiden Seiten rasch zu verändern. Die Ufer wurden höher und steiniger. Bald fuhren sie durch felsiges Hügelland, und die steilen Böschungen beiderseits lagen unter dichtem Gestrüpp von Weiß- und Schlehdorn, Brombeeren und anderem Gerank. Dahinter standen niedrige zerbröckelnde Wände und Kamine aus grauem, verwittertem Gestein, dunkel überwachsen mit Efeu; und noch weiter hinten sah man hohe Hügelkuppen mit windgebeugten Kiefern. Sie näherten sich dem grauen Bergland der Emyn Muil am Südende von Wilderland.
Viele
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