Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
»Auch mir ist das Herz schwer, und ich wollte, wir wären früher aufgebrochen; aber nun brauche ich ein wenig Ruhe, damit ich nachher umso besser laufen kann. Und wenn wir schon ruhen müssen, dann ist die sichtlose Nacht die richtige Zeit dafür.«
»Ich hab gesagt, dass es eine schwierige Entscheidung ist«, sagte Aragorn. »Wie können wir diesen Streit beenden?«
»Du bist unser Führer«, sagte Gimli, »und ein geübter Orkjäger. Entscheide du!«
»Mein Herz sagt mir, wir sollten weiterlaufen«, sagte Legolas. »Doch müssen wir zusammenbleiben. Ich beuge mich deinem Beschluss.«
»Ihr überlasst die Wahl einem Unberufenen«, sagte Aragorn. »Seit wir durch die Argonath gefahren sind, habe ich immer nur falsch entschieden.« Er schwieg und blickte eine ganze Weile nach Nordwesten in die dunkelnde Nacht hinaus.
»Wir gehen nicht weiter während der Nacht«, sagte er endlich. »Die Gefahr, die Fährte zu verlieren oder Zeichen für ein Kommen und Gehen in anderer Richtung zu übersehen, scheint mir die größere zu sein. Gäbe der Mond genug Licht, könnten wir es ausnützen, aber leider geht er früh unter und ist noch zu neu und blass.«
»Und heute Nacht ist er auch noch verhangen«, brummte Gimli. »Hätte uns die hohe Frau nur auch so ein Licht mitgegeben, wie sie es Frodo geschenkt hat!«
»Wem sie es gegeben hat, der wird es nötiger brauchen«, sagte Aragorn. »Der Ausgang der Fahrt hängt nun ganz von ihm ab. Unsere Orkjagd ist nur ein kleines Geplänkel in den großen Kämpfen dieser Tage. Vielleicht ist es ein von Anfang an aussichtsloses Unternehmen, das sich durch keine Entscheidung von mir vereiteln oder fördern lässt. Egal, ich habe nun entschieden. Also nutzen wir die Zeit, so gut es geht!«
Er ließ sich zu Boden sinken und schlief sofort ein. Seit der Nacht bei Tol Brandir hatte er nicht mehr geschlafen. Bevor der Morgen graute, stand er wieder auf. Gimli schlief noch fest, aber Legolas war schon auf den Beinen und blickte nach Norden in die Dunkelheit, still und nachdenklich wie ein junger Baum in einer windstillen Nacht.
»Sie sind uns weit, weit voraus«, sagte er betrübt und wandte sich zu Aragorn um. »Mein Herz sagt mir, dass sie in dieser Nacht nicht gerastet haben. Nur ein Adler könnte sie noch einholen.«
»Dennoch folgen wir ihnen weiter, so gut wir können«, sagte Aragorn. Er bückte sich und weckte den Zwerg. »Komm, wir müssen gehn!«, sagte er. »Die Fährte wird kalt.«
»Aber es ist noch dunkel«, sagte Gimli. »Selbst Legolas, und wenn er auf einem Hügel stünde, könnte sie nicht sehen, bevor nicht die Sonne am Himmel steht.«
»Ich fürchte, ich kann sie überhaupt nicht mehr sehen, ob vom Hügel oder von der Ebene, ob der Mond scheint oder die Sonne«, sagte Legolas.
»Wo das Auge versagt, gibt uns vielleicht der Erdboden ein Zeichen«, sagte Aragorn. »Das Land muss stöhnen unter ihren verhassten Füßen.« Er streckte sich im Gras aus und drückte das Ohr an den Boden. Lange blieb er dort reglos liegen, so lange, dass Gimli sich schon fragte, ob er ohnmächtig geworden oder wieder eingeschlafen sei. Der erste helle Schimmer zeigte sich am Himmel, und langsam breitete sich ein graues Licht aus. Endlich stand er wieder auf, und nun konnten die Freunde sein Gesicht sehen. Es war bleich und eingefallen, und er schaute ratlos drein.
»Die Zeichen der Erde sind trüb und verworren«, sagte er. »Auf viele Meilen im Umkreis ist nichts, was darauf läuft. Schwach und von sehr weit sind die Tritte unserer Feinde zu hören. Doch laut hörte ich Pferdehufe. Jetzt fällt mir ein, dass ich sie schon im Schlaf hörte und von ihnen in meinen Träumen beunruhigt wurde: Pferde, die nach Westen galoppierten. Aber nun entfernen sie sich von uns immer weiter nach Norden. Ich möchte wissen, was in diesem Land vorgeht.«
»Kommt, laufen wir weiter!«, sagte Legolas.
So begann der dritte Tag ihrer Jagd. Während all der Stunden, die sie unter den Wolken und der launischen Sonne voraneilten, bald gehend, bald im Laufschritt, gönnten sie sich kaum eine Pause, als könnte keine Ermüdung das Feuer ersticken, das in ihnen brannte. Durch die weite Einsamkeit gingen sie, und ihre Elbenmäntel glichen sich dem Hintergrund der graugrünen Wiesen an; und selbst am hellen Mittag wären sie kaum zu bemerken gewesen, es sei denn mit Elbenaugen, wenn man dicht vor ihnen stand. Oft dankten sie von Herzen der Herrin von Lórien für das Lembas, das sie ihnen mitgegeben hatte, denn
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