Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
und dahinter dunkel ansteigenden Tannenwald. Bald entfernte sich Baumbart ein wenig von den Berghängen und drang in tiefe Haine vor, in denen die Bäume größer, höher und dicker waren als alle, die die Hobbits je gesehen hatten. Wieder spürten sie ein wenig die gleiche Atemnot wie beim ersten Eintreten in Fangorns Wald, aber sie verging bald. Baumbart sprach nicht mit ihnen. Er brummte in tiefem Nachsinnen vor sich hin, doch konnten Merry und Pippin nichts heraushören, das so klang, als seien es Wörter: Buumm, buumm, rammbuumm, buuraar buumm, buumm, dachraar-buumm-buumm, dachraar-buumm und so weiter, mit ständigem Wechsel von Klangfarbe und Rhythmus. Dann und wann glaubten sie eine Antwort zu hören, einen Summ- oder Schwebeton, der aus dem Boden, von den Zweigen über ihnen oder vielleichtauch von den Baumstämmen zu kommen schien; doch Baumbart blieb nicht stehen und wandte den Kopf nicht nach links oder rechts.
So hatten sie eine lange Strecke zurückgelegt – Pippin hatte die »Entschritte« mitzuzählen versucht, aber bei etwa dreitausend den Faden verloren –, als Baumbart das Tempo verlangsamte. Plötzlich blieb er stehen, setzte die Hobbits ab und legte die Hände, zu einem Sprachrohr gekrümmt, an den Mund; dann blies oder rief er durch sie hindurch. Ein mächtiges Huumm-hommm , wie auf einem tiefen Horn geblasen, dröhnte in den Wald hinaus und schien von den Bäumen widerzuhallen. Von weit her kam aus mehreren Richtungen ein ähnliches Huumm-hommm-huumm, das kein Echo, sondern eine Antwort war.
Nun hob Baumbart sich Merry und Pippin auf die Schultern und ging weiter, ab und zu den Ruf wiederholend, und jedes Mal klangen die Antworten lauter und näher. So kamen sie schließlich zu einer, wie es schien, undurchdringlichen Wand von dunklen immergrünen Bäumen, Bäumen von einer Art, wie die Hobbits sie noch nie gesehen hatten: Sie verzweigten sich gleich über den Wurzeln und waren dicht und dunkel schimmernd belaubt wie dornlose Stechpalmen, und die Zweige trugen viele steif aufrecht stehende Blütenähren mit großen, olivgrün glänzenden Knospen.
Nach links an dieser riesigen Hecke entlang kam Baumbart mit wenigen Schritten zu einer schmalen Öffnung. Ein ausgetretener Pfad führte hinein und tauchte jäh einen langen Steilhang hinunter. Die Hobbits sahen, dass sie in eine große Waldschlucht hinabstiegen, die fast wie eine Schale rund war, sehr breit und tief und am oberen Rand von der dunklen, immergrünen Hecke umgeben. Auf dem Grund war der Boden eben und grasig, und bis auf drei sehr hohe und schöne Weißbirken standen dort keine Bäume. Noch zwei andere Wege führten in den Tobel hinab, der eine von Westen, der andere von Osten.
Mehrere Ents waren schon da. Andere stiegen gerade die Wegeherunter, manche auf dem Weg hinter Baumbart. Als sie näher kamen, staunten die Hobbits. Sie hatten erwartet, dass die anderen Ents Baumbart etwa so ähnlich sehen würden wie ein Hobbit dem anderen (wenigstens in den Augen eines Fremden); doch zu ihrer Überraschung war dem nicht so. Die Ents waren voneinander so verschieden, wie nur Bäume von Bäumen verschieden sein können: bald so wie ein Baum vom anderen gleichen Namens, aber von ganz anderem Wuchs und Werdegang; bald so wie eine Baumart von der andern, wie Birke von Buche oder Eiche von Tanne. Einige Ents waren ältere Herren, bärtig und knorrig wie gesunde, aber uralte Bäume (doch schien keiner so alt zu sein wie Baumbart); andere waren große, starke Männer, gut gewachsen und mit glatter Haut wie Waldbäume in voller Reife; aber junge Ents, Schösslinge, sah man nicht. Insgesamt standen etwa zwei Dutzend auf der weiten Grasfläche in der Schlucht, und ebenso viele waren noch im Anmarsch.
Zuerst fiel den Hobbits vor allem die Mannigfaltigkeit ins Auge, die vielerlei Formen und Farben, die Unterschiede in Größe und Dicke, Arm- und Beinlänge und in der Zahl der Zehen und Finger (sie schwankte zwischen drei und neun). Einige schienen mit Baumbart verwandt zu sein und erinnerten an Buchen oder Eichen. Aber viele waren von ganz anderer Art. Manche ließen an Kastanien denken: braunhäutige Burschen mit breiten, spreizfingrigen Händen und kurzen, dicken Beinen; manche an Eschen: hoch und gerade gewachsene Grauhäuter mit vielen Fingern und langen Beinen; manche an Tannen (die größten); und manche an Birken, Ebereschen und Linden. Doch als die Ents alle um Baumbart versammelt standen, die Köpfe leicht geneigt, mit ihren klangvollen
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