Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
können. Und vielleicht finden wir dann morgen einen Weg.«
»Oder übermorgen, oder überübermorgen«, brummte Sam. »Oder in tausend Jahren. Wir sind auf dem falschen Weg.«
»Ich weiß nicht«, sagte Frodo. »Es ist Schicksal, glaube ich, dass ich zu diesem Schatten dort gehen soll, also wird sich wohl auch ein Weg finden. Aber wer wird ihn mir weisen, Freund oder Feind? Hoffnung gibt es nur, wenn wir schnell vorankommen. Verzug spielt dem Feind in die Hände – und da steh ich nun und komme nicht weiter! Ist es der Wille des Dunklen Turms, der uns lenkt? Alle meine Entscheidungen haben sich als falsch erwiesen. Ich hätte die Gefährten schon viel früher verlassen und von Norden her kommen sollen, östlich des Flusses und der Emyn Muil, über den festen Grund des Alten Schlachtfelds bis zu den Pässen nach Mordor. Aber jetzt finden wir beide allein nicht mehr zurück, und auf dem Ostufer wimmelt es von Orks. Jeder Tag, den wir verlieren, kommt uns teuer zu stehen. Ich bin müde, Sam. Ich weiß nicht, was tun. Was haben wir denn noch zu essen?«
»Nur noch diese, wie heißen sie doch, Lembas, Herr Frodo. Davon eine ganze Menge. Immerhin besser als nichts auf die Dauer. Als ich das erste Mal reinbiss, hätte ich nicht gedacht, dass ich mir je was anderes wünschen könnte. Aber inzwischen hätt ich doch lieber mal ein Stück Schwarzbrot zwischen den Zähnen und einen Krug Bier dazu – ach was, ein Gläschen –, um es runterzuspülen. Den ganzen Weg vom letzten Lager hab ich mein Kochgeschirr mitgeschleppt, und wozu? Nicht mal Holz zum Feuermachen haben wir und zu kochen erst recht nichts, nicht mal Gras!«
Sie machten kehrt und stiegen in eine steinige Mulde hinab. Die untergehende Sonne war wolkenverhangen, und die Nacht brach rasch herein. Abwechselnd schliefen sie, so gut es die Kälte erlaubte, in einem Winkel zwischen großen verwitterten Felszacken, wenigstens vor dem Ostwind geschützt.
»Hast du sie wieder gesehen, Herr Frodo?«, fragte Sam, als sie steif und durchgefroren im kalten Morgengrau saßen und ihre Lembas-Waffeln kauten.
»Nein«, sagte Frodo. »Seit zwei Nächten habe ich nun nichts mehr gehört und gesehen.«
»Ich auch nicht«, sagte Sam. »Grrr! Diese Augen waren ein Schock für mich. Aber vielleicht haben wir ihn nun doch abgeschüttelt, den elenden Schleicher. Gollum! Sein gollum soll ihm im Hals steckenbleiben, wenn ich den je zwischen die Finger kriege.«
»Ich hoffe, das wird nicht nötig sein«, sagte Frodo. »Ich weiß nicht, wie er uns hat folgen können, aber vielleicht haben wir ihn ja wieder abgeschüttelt, wie du sagst. In diesem kahlen und trockenen Gelände können wir nicht viele Fußstapfen hinterlassen haben, undauch die Geruchsspur kann selbst für seine Schnüffelnase nicht deutlich genug sein.«
»Hoffentlich ist es so«, sagte Sam. »Ich wollte, wir würden ihn für immer los.«
»Ich auch«, sagte Frodo, »aber meine größte Sorge ist er nicht. Ich wollte, wir kämen endlich von diesen Bergen herunter. Sie gefallen mir gar nicht. Hier auf der Ostseite fühle ich mich ganz nackt, wie auf dem Präsentierteller, mit nichts zwischen mir und dem Schatten dort drüben als diesem vollkommen platten Stück Flachland. Und der Schatten hat ein Auge. Komm! Heute müssen wir irgendwie hinunterfinden.«
Aber der Tag zog sich in die Länge, und als der Nachmittag zu Ende ging, liefen sie noch immer auf dem Grat entlang und hatten keinen Weg für den Abstieg gefunden.
Manchmal, in der Stille dieses öden Landes, bildeten sie sich ein, leise Geräusche hinter sich zu hören, den Fall eines Steins oder den Patschtritt bloßer Füße auf dem Felsboden. Blieben sie aber stehen und horchten, so hörten sie nichts mehr, bis auf das Seufzen, mit dem der Wind über die Kanten der Steine strich – doch selbst dies schon ließ sie an Atem denken, der leise zwischen scharfen Zähnen hindurchzischt.
Den ganzen Tag über war der äußere Grat der Emyn Muil, auf dem sie dahinstapften, allmählich nach Norden abgebogen. An der oberen Felskante entlang zog sich nun ein breiter, flacher Streifen von wetterzernagtem Felsgeröll, hier und da von grabenartigen Rinnen durchschnitten, die steil zu tiefen Kerben in der Felswand hin abfielen. Auf der Suche nach einem Weg in diesen Rinnen, die immer tiefer und zahlreicher wurden, mussten Frodo und Sam weit nach links vom Berggrat abweichen und bemerkten nicht, dass sie mehrere Meilen langsam, aber stetig bergab gegangen waren: Der Grat
Weitere Kostenlose Bücher