Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
geschaffen: vielleicht Feanor selbst, in so frühen Tagen, dass die Zeit, die seither vergangen ist, sich in Jahren nicht messen lässt. Aber es gibt nichts, das Sauron nicht missbrauchen kann. Saruman hat es zu spüren bekommen. Der Palantír zog ihn ins Unglück, wie mir jetzt klar wird. Gefährlich für uns alle sind die Erfindungen einer Kunst, deren wir selbst nicht mächtig sind. Aber schuld ist er selbst. Welch ein Narr – das Ding zum eigenen Vorteil geheim zu halten! Kein Wort hat er zu einem andern aus dem Rat je davon gesagt. Wir hatten noch nicht darüber nachgedacht, was in den verheerenden Kriegen aus Gondors Palantíri geworden sein mag. Von den Menschen waren sie nahezu vergessen. Selbst in Gondor waren sie ein Geheimnis, von dem nur wenige wussten; und in Arnor erinnerte an sie nur noch ein alter Reim der Dúnedain.«
»Wozu haben die Menschen von einst sie verwendet?«, fragte Pippin, hocherfreut, auf so viele Fragen Antwort zu bekommen. Insgeheim hoffte er, dass Gandalf noch eine lange Weile erzählen würde.
»Dazu, in die Ferne zu sehen und miteinander Gedanken auszutauschen«, sagte Gandalf. »Auf diese Weise haben sie das Reich von Gondor lange behütet und zusammengehalten. Sie stellten die Steine in Minas Anor auf, in Minas Ithil und auf dem Orthanc im Ring von Isengard. Der Meisterstein befand sich unter der Sternenkuppel von Osgiliath, bevor die Stadt zerstört wurde. Die restlichen drei waren weit im Norden. In Elronds Haus wird erzählt, je einer hätte sich in Annúminas und auf dem Amon Sûl befunden, Elendils Stein aber auf den Turmbergen, mit dem Blick nach Mithlond am Golf von Lhûn, wo die grauen Schiffe vor Anker liegen.
Jeder Palantír konnte mit jedem Verbindung aufnehmen, aber nur von Osgiliath aus konnte man sehen, was alle anderen Steine von Gondor zeigten. Nun wird deutlich, dass der Palantír von Orthancerhalten geblieben ist, ebenso wie auch der Turm die Stürme der Zeiten überdauert hat. Doch für sich allein konnte er nichts bewirken, als kleine Bilder von fernen Dingen und fernen Zeiten zu zeigen. Ohne Zweifel fand Saruman das sehr nützlich, aber es scheint, dass er sich damit nicht zufrieden gab. Immer weiter schaute er umher, und schließlich fasste er Barad-dûr ins Auge. Und dort wurde er gefangen!
Wer weiß, wo die verlorengegangenen Steine von Arnor und Gondor heute liegen, tief verschüttet oder überflutet? Aber wenigstens einen muss Sauron sich verschafft und seinen Zwecken gefügig gemacht haben. Ich denke, es wird der Ithil-Stein gewesen sein, denn Minas Ithil hat er vor langer Zeit schon erobert und in einen Schreckensort verwandelt: Minas Morgul heißt es heute.
Nun kann man leicht erraten, wie schnell Sarumans schweifender Blick eingefangen und festgehalten wurde und wie ihm seither aus der Ferne zugeredet und wohl auch gedroht wird, wenn Zureden allein nicht genügt. Der betrogene Betrüger, der Habicht in den Klauen des Adlers, die Spinne im Netz von Stahl gefangen! Wie lange schon, frag ich mich, ist er gezwungen, sich in kurzen Abständen an seinem Glas zu melden, um sich prüfen zu lassen und Anweisungen zu empfangen; und wie lange ist der Orthanc-Stein wohl schon so fest auf Barad-dûr ausgerichtet, dass jeder, der hineinblickt, in Gedanken und Sinnen sofort dorthin getragen wird, wenn er nicht einen stahlharten Willen besitzt? Und wie der Stein selbst jeden an sich zieht! Hab ich es nicht selbst gespürt? Auch jetzt noch wünschte ich von Herzen, meinen Willen daran zu erproben, zu sehen, ob ich ihm den Stein nicht entwinden und den Blick dorthin lenken könnte, wohin ich sehen möchte – über die Weiten der Meere und die Abgründe der Zeit hinweg nach Tirion dem Wunderbaren, als Feanor dort Unvorstellbares schuf und dachte und der Weiße und der Goldene Baum noch in Blüte standen.« Er seufzte und schwieg.
»Wenn ich das alles doch nur eher gewusst hätte!«, sagte Pippin. »Ich hatte keine Ahnung, was ich da tat.«
»O doch, eine Ahnung hattest du schon!«, sagte Gandalf. »Du hast gewusst, dass es falsch und eine Dummheit war, was du tatest; das hast du dir selbst gesagt, allerdings ohne drauf zu hören. Ich habe dir das alles nicht vorher gesagt, weil ich es selbst erst beim Nachsinnen über die letzten Geschehnisse, während wir hier reiten, verstanden habe. Hätte ich aber früher davon gesprochen, so hätte ich dein Verlangen damit nicht geschwächt und es dir nicht leichter gemacht, ihm zu widerstehen. Im Gegenteil! Nein, wer
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