Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
Ränder der Straße verschwanden. Es war drei Nächte vor Vollmond, aber der Mond ging erst kurz vor Mitternacht über den Bergen auf, und bis dahin war es sehr dunkel. Hoch oben in den Zahntürmen brannte je ein rotes Licht, doch sonst war von der pausenlosen Wache am Morannon nichts zu sehen oder zu hören.
Noch viele Meilen weit schien das rote Auge ihnen nachzustarren, als sie sich stolpernd auf dem kahlen, steinigen Boden davonmachten. Sie wagten nicht, auf der Straße zu gehen, sondern hielten sich rechts von ihr und folgten ihrem Verlauf, so gut es ging, in einigem Abstand. Endlich, als die Nacht sich zum Ende hin neigte und sie schon müde waren, weil sie nur einmal kurz gerastet hatten, schrumpfte das Auge zu einem kleinen glühenden Punkt und verschwand: Sie hatten den niedrigen nördlichen Vorsprung der Berge umrundet und hielten nun nach Süden.
Sonderbar erleichtert rasteten sie noch einmal, aber nicht lange. Gollum ging es nicht schnell genug. Nach seiner Schätzung waren es fast dreißig Wegstunden vom Morannon bis zur Wegscheide oberhalb von Osgiliath, und diese Strecke hoffte er in vier Nachtmärschen zurückzulegen. Darum schleppten sie sich weiter, bis die Morgendämmerung sich langsam über die weite graue Einsamkeit ausbreitete. Fast acht Wegstunden hatten sie hinter sich gebracht, und die Hobbits hätten, selbst wenn sie es wagen wollten, keinen Schritt weiter tun können.
Das zunehmende Licht zeigte ihnen ein Land, das nun nicht mehr so wüst und kahl war. Noch immer ragten die finsteren Berge zur Linken auf, doch nahebei sahen sie, wie die Südstraße vom Fuß des Gebirges fort und schräg nach Westen strebte. Östlich von ihr stiegen Hänge an, die mit düsteren Bäumen wie mit Wolken bedeckt waren; doch vor ihnen lag ein welliges Heideland mit Ginsterbüschen, Heidekraut, Kornelkirschen und mit anderen Sträuchern, die sie nicht kannten. Hier und da sahen sie Gruppen von hohen Fichten. Trotz aller Müdigkeit schöpften die Hobbits wieder ein wenig Mut: Die Luft war frisch und würzig wie auf den Hochflächen im Nordviertel des fernen Auenlands. Es tat gut, vorerst wieder durch ein Land gehen zu dürfen, das erst seit wenigen Jahren dem Dunklen Herrscher untertan und noch nicht ganz verkommen war. Aber sie vergaßen nicht, in welcher Gefahr sie schwebten und wie nah sie noch immer dem Schwarzen Tor waren, auch wenn es nun hinter den düsteren Höhen verborgen lag. Sie sahen sich nach einem Versteck um, das sie vor bösen Blicken bewahren könnte, solange es hell war.
Es wurde ein unbehaglicher Tag. Sie lagen tief im Heidekraut und zählten die schleichenden Stunden, in denen sich wenig zu ändern schien; denn sie befanden sich noch immer zu Füßen des EphelDúath, und die Sonne war verschleiert. Frodo schlief zeitweise tief und friedlich, entweder weil er Gollum vertraute oder weil er zu müde war, sich seinetwegen Sorgen zu machen; Sam jedoch döste nur hin und wieder ein und fand selbst dann keine Ruhe, wenn Gollum augenscheinlich fest schlief und in unerforschlichen Träumen ächzte und zuckte. Was Sam wach hielt, war wohl mehr noch der Hunger als das Misstrauen; allmählich sehnte er sich nach einer ordentlichen Mahlzeit, nach etwas Handfestem aus der Pfanne.
Sobald das Land vor der heraufziehenden Nacht grau in grau verblasste, gingen sie weiter. Nach kurzer Zeit führte Gollum sie auf die Südstraße hinunter, und dort kamen sie schneller voran, allerdings bei größerer Gefahr. Sie horchten angespannt auf Geräusche vor oder hinter ihnen auf der Straße, aber die Nacht verging, ohne dass sie Schritte oder Hufschläge hörten.
Die Straße war das Werk einer längst vergangenen Zeit, und auf einer Strecke von etwa dreißig Meilen südlich des Morannon war sie jüngst ausgebessert worden; aber weiter im Süden griff das wilde Land auf sie über. Die Hand der Menschen von einst war noch an ihrem geraden, ebenen und zielstrebigen Verlauf zu erkennen: Dann und wann durchschnitt sie einen Berghang oder schwang sich in weitem, zierlichen Bogen aus dauerhaftem Mauerwerk über einen Bach hinweg; doch schließlich verloren sich alle Spuren von Baukunst bis auf einen abgebrochenen Pfeiler hier und da im Gebüsch an den Seiten oder ein paar alte Pflastersteine zwischen Moos und Kräutern. Heidekraut, Bäume und Farn krochen herab und hingen über die Böschungen oder breiteten sich über die Straße selbst aus. Zuletzt blieb von ihr nicht viel mehr als ein wenig benutzter Karrenweg, doch
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