Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
gegangen?« Und dann hörte er sich in seiner Erinnerung etwas sagen, das er zu der Zeit, als er es sagte, zu Beginn ihrer Fahrt, gar nicht verstanden hatte: Ich habe noch etwas zu tun, bevor es vorbei ist. Ich muss das erledigen, wenn du mich verstehst.
»Aber was kann ich denn tun? Doch nicht den Herrn Frodo tot, unbegraben hier oben auf den Bergen liegen lassen und nach Hause gehn? Oder weitergehn? Weitergehn?«, wiederholte er, und für einen Moment bebte er vor Furcht und Ungewissheit. »Weitergehn? Ist es das, was ich zu tun habe? Und ihn hier liegen lassen?«
Dann endlich begann er zu weinen. Er trat zu Frodo hin, legte ihn zurecht, die kalten Hände über der Brust gefaltet und in seinen Mantel gehüllt; und dann nahm er sein eigenes Schwert und legte es Frodo zur Seite, und zur anderen Seite legte er den Wanderstab, Faramirs Geschenk.
»Wenn ich weitergehn soll«, sagte er, »dann muss ich dein Schwert mitnehmen, wenn du gestattest, Herr Frodo, aber dieses hier leg ich neben dich, so wie es neben dem alten König im Hügelgrab gelegen hat; und du hast ja noch das schöne Mithrilhemd vom alten Herrn Bilbo an. Und dein Sternglas, Herr Frodo, das hast du mir geliehen, und ich werd es noch brauchen, denn nun werd ich immer im Dunkeln gehn. Es ist eigentlich zu schade für mich, und die hohe Frau hat es dir geschenkt, aber vielleicht kann sie’s verstehen. Verstehst du mich, Herr Frodo? Ich muss weitergehn.«
Aber er konnte nicht gehen, noch nicht. Er kniete nieder und nahm Frodos Hand und konnte sie nicht loslassen. Und Zeit verging, aber immer noch kniete er neben seinem Herrn, hielt seine Hand und versuchte, mit sich selbst ins Reine zu kommen.
Er suchte die Kraft, sich loszureißen und auf die einsame Fahrt zu gehen – zur Rache. Wenn er einmal loskäme, würde sein Zorn ihnüber alle Straßen der Welt tragen, bis er den Schuft endlich hätte: Gollum; und der sollte dann irgendwo jämmerlich verrecken. Aber das war es nicht, was er sich vorgenommen hatte. Dafür seinen Herrn zu verlassen, würde sich nicht lohnen. Damit konnte er ihn nicht zurückholen. Mit nichts. Besser, sie wären beide tot. Und auch das würde eine einsame Fahrt.
Er blickte auf die blanke Spitze des Schwertes. Er dachte an all die Stellen auf dem Weg hinter ihm, wo eine schwarze Kluft wartete, ein Sturz ins Nichts. Das war auch kein Entrinnen. Das hieße gar nichts tun, nicht mal trauern. Das war es nicht, wozu er sich mit auf den Weg gemacht hatte. »Was soll ich denn tun?«, rief er noch einmal, und nun schien ihm die leidige Antwort ganz klar zu sein: es erledigen. Noch ein einsames Stück Weges, das schlimmste.
»Wie? Ich allein soll zur Schicksalskluft und alles erledigen?« Noch war ihm bang, aber der Entschluss reifte in ihm. »Wie? Ich sollte ihm den Ring abnehmen? Der Rat hat das Ding doch ihm gegeben!«
Aber sogleich wusste er die Antwort. »Und der Rat hat ihm Gefährten mit auf den Weg gegeben, damit sein Vorhaben nicht fehlschlägt. Und du bist von allen Gefährten der letzte. Das Vorhaben darf nicht fehlschlagen.«
»Wenn ich doch nur nicht der Letzte wäre!«, stöhnte er. »Wenn doch nur der alte Gandalf hier wäre oder sonst jemand! Warum muss ich mich ganz allein entschließen? Ich tu doch sicher das Falsche. Und mich vorzudrängen und den Ring zu nehmen, dazu bin ich doch nicht der Richtige.
Aber du hast dich nicht vorgedrängt; du bist vorgedrängt worden. Und was heißt schon, du seist nicht der Richtige? Herr Frodo, könnte man sagen, und Herr Bilbo waren’s doch auch nicht. Die haben sich nicht selbst ernannt.
Also gut, ich muss mich entscheiden. Und das werd ich. Aber natürlich tu ich das Falsche, sonst wär ich ja nicht Sam Gamdschie.
Sehn wir mal: Wenn man uns hier findet oder Herrn Frodo findet, und er hat das Ding bei sich, nun, dann kriegt es der Feind. Unddamit wär alles aus, mit Lórien und Bruchtal, mit dem Auenland und uns allen. Und wenn ich noch mehr Zeit vertrödle, ist sowieso alles aus. Der Krieg hat angefangen, und höchstwahrscheinlich verläuft er schon wunschgemäß für den Feind. Keine Chance, mit dem Ding umzukehren und Rat oder Erlaubnis einzuholen. Nein, entweder bleib ich hier sitzen und warte, bis sie kommen und mich über Frodos Leiche totschlagen und das Ding nehmen, oder ich nehme es selbst und gehe los.« Er holte tief Luft. »Da bleibt nur: Nimm es!«
Er bückte sich. Sehr behutsam öffnete er die Spange am Hals und schob die Hand unter Frodos Hemd; dann hob er mit
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