Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
Stammesfürst der Dúnedain. Im Jahr darauf gebar Gilraen ihm einen Sohn, und sie nannten ihn Aragorn. Doch Aragorn war erst zwei Jahre alt, als Arathorn mit Elronds Söhnen gegen die Orks ausritt; und ein Orkpfeil traf ihn ins Auge und tötete ihn. Also hatte er für einen von seinem Stamm tatsächlich nicht lange gelebt, denn er war erst sechzig Jahre, als er fiel.
Aragorn, der nun Isildurs Erbe war, kam mit seiner Mutter in Elronds Haus; und Elrond nahm für ihn die Stelle des Vaters ein und gewann ihn lieb wie einen eigenen Sohn. Doch wurde er jetzt Estel, ›Hoffnung‹, genannt, und sein wirklicher Name und seine Abkunft wurden auf Elronds Befehl geheim gehalten; denn den Weisen war damals schon bekannt, dass der Feind Isildurs Erben zu finden bestrebt war, sofern es auf Erden noch einen gab.
Aber als Estel erst zwanzig Jahre alt war, kehrte er einmal nach großen Taten mit Elronds Söhnen nach Bruchtal zurück; und Elrond musterte ihn und war froh, denn er fand ihn stattlich und edel und früh zum Mann gereift, obwohl er gewiss an Leib und Seele noch wachsen konnte. Daher redete ihn Elrond an diesem Tag mit seinem wahren Namen an, sagte ihm, wer und wessen Sohn er sei und gab ihm die Erbstücke seines Hauses.
›Hier ist Barahirs Ring‹, sagte er, ›das Zeichen, dass wir entfernt verwandt sind; und hier sind auch die Bruchstücke von Narsil. Damit kannst du noch Heldentaten vollbringen, denn ich sage voraus, dass dein Leben länger sein wird als das den Menschen zugemessene, es sei denn, du wirst vom Bösen befallen oder bestehst die Prüfung nicht. Die Prüfung wird schwer und lang sein. Das Zepter von Annúminas halte ich noch zurück, denn erst musst du es dir verdienen.‹Am nächsten Tag, bei Sonnenuntergang, lief Aragorn allein durch den Wald, und das Herz schlug ihm höher. Er sang, denn er war voll Hoffnung und hätte die Welt umarmen mögen. Und während er sang, sah er plötzlich eine Jungfrau über eine Wiese zwischen Birkenstämmen hindurchgehen; und verwundert blieb er stehen, denn er glaubte, ihm träume oder er habe vielleicht die Begabung der elbischen Barden, die das, wovon sie singen, vor den Augen der Zuhörer erscheinen zu lassen vermögen.
Denn Aragorn hatte das Lied von Lúthien gesungen, den Teil, der von Lúthiens Begegnung mit Beren im Wald von Neldoreth erzählt. Und nun schien ihm Lúthien hier in Bruchtal leibhaftig vor Augen zu treten, in einem blausilbernen Mantel und schön wie der Abend in Elbenheim; ihr dunkles Haar wehte in einem plötzlich aufkommenden Wind, und ihre Stirn war mit Edelsteinen wie mit Sternen umflochten.
Einen Augenblick sah er sie stumm an, aber weil er befürchtete, sie nie wieder zu sehen, wenn sie jetzt vorüberginge, rief er laut: Tinúviel, Tinúviel! – genau wie einst Beren in den Ältesten Tagen.
Da wandte die Jungfrau sich zu ihm, lächelte und sagte: ›Wer bist du? Und warum rufst du mich bei diesem Namen?‹
Und er erwiderte: ›Weil ich dachte, du seist wahrhaftig Lúthien Tinúviel, von der ich eben sang. Doch wenn du es nicht bist, dann bist du ihr wandelndes Ebenbild.‹
›Das haben schon viele gesagt‹, antwortete sie ernst. ›Doch heiße ich nicht wie sie. Obwohl ich vielleicht ein ähnliches Schicksal haben werde. Aber wer bist du?‹
›Estel nannte man mich‹, sagte er. ›Aber ich bin Aragorn, Arathorns Sohn, Isildurs Erbe und Fürst der Dúnedain‹; doch schon als er das sagte, spürte er, dass seine hohe Abkunft, über die er eben noch von Herzen froh gewesen war, nun nicht mehr viel zu bedeuten hatte und keinem Vergleich mit ihrer Würde und Lieblichkeit standhielt.
Aber sie lachte erfreut und sagte: ›Dann sind wir entfernte Verwandte. Denn ich bin Arwen, Elronds Tochter, und man nennt mich auch Undómiel.‹
›Oft sieht man es ja‹, sagte Aragorn, ›dass ein Mann in gefährlichen Zeiten seinen größten Schatz verborgen hält. Doch ich staune über Elrond und deine Brüder; denn obwohl ich von Kind an in diesem Hause gelebt habe, ist mir von dir nie ein Wort zu Ohren gekommen. Warum sind wir uns noch nie begegnet? Dein Vater kann dich doch nicht in seiner Schatzkammer unter Verschluss gehalten haben?‹
›Nein‹, sagte sie und blickte zu den Bergen im Osten empor. ›Ich habe eine Zeitlang bei der Sippe meiner Mutter gelebt, im fernen Lothlórien. Vor kurzem erst bin ich zurückgekehrt zu meinem Vater. Viele Jahre ist es her, dass ich zuletzt in Imladris war.‹
Da wunderte sich Aragorn, denn sie schien
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