Der Herr der Ringe
Esmeralda: »Da ist irgendetwas faul, meine Liebe! Ich glaube, der verrückte Beutlin ist wieder auf und davon. Alberner alter Narr. Aber warum sollen wir uns darüber Gedanken machen? Das Essen hat er ja nicht mitgenommen.« Laut rief er zu Frodo hinüber, er möge den Wein noch einmal kreisen lassen.
Frodo war der Einzige der Anwesenden, der nichts gesagt hatte. Eine Zeitlang hatte er schweigend neben Bilbos leerem Stuhl gesessen und alle Bemerkungen und Fragen geflissentlich überhört. Natürlich hatte er den Spaß genossen, obwohl er vorher eingeweiht worden war. Nur mit Mühe konnte er sich zurückhalten, über die empörte Überraschung der Gäste zu lachen. Aber gleichzeitig war er zutiefst betrübt: Ihm wurde plötzlich klar, dass er den alten Hobbit herzlich gern hatte. Die Mehrzahl der Gäste ließ sich Essen und Trinken weiterhin schmecken und ereiferte sich über Bilbo Beutlins vergangene und gegenwärtige Absonderlichkeiten; nur die Sackheim-Beutlins waren schon voll Zorn gegangen. Auch Frodo hatte genug von der Gesellschaft. Er ließ neuen Wein kommen; dann stand er auf, leerte sein Glas still für sich auf Bilbos Wohl und stahl sich von dannen.
Was Bilbo Beutlin betrifft, so hatte er schon während seiner Rede mit dem goldenen Ring in der Tasche gespielt: seinem Zauberring, den er so viele Jahre geheim gehalten hatte. Als er vom Stuhl hinunterstieg, ließ er den Ring auf seinen Finger gleiten und ward von keinem Hobbit in Hobbingen jemals wieder gesehen.
Er ging rasch zu seiner Höhle, blieb einen Augenblick draußen stehen und lauschte lächelnd dem Getöse, das aus dem Zelt und von den sonstigen Lustbarkeiten auf dem Feld zu ihm herüberdrang. Dann ging er hinein. Er zog seine Festkleidung aus, faltete seine gestickte seidene Weste zusammen, schlug sie in Seidenpapier ein und legte sie weg. Geschwind zog er ein paar derbe alte Sachen an und schnallte sich einen abgetragenen Ledergürtel um. Daran hängte er ein kurzes Schwert in einer ramponierten Scheide ausschwarzem Leder. Aus einer abgeschlossenen, nach Mottenkugeln riechenden Schublade nahm er einen alten Mantel und eine Kapuze. Sie waren weggeschlossen gewesen, als ob sie sehr kostbar seien, aber sie waren so geflickt und von Wind und Wetter mitgenommen, dass man ihre ursprüngliche Farbe kaum noch erraten konnte: Es mochte ein dunkles Grün gewesen sein. Eigentlich waren sie ihm zu groß. Dann ging er in sein Arbeitszimmer und holte aus einer großen Geldkassette ein in alte Lappen gewickeltes Bündel und ein in Leder gebundenes Manuskript; und auch einen dicken Briefumschlag. Buch und Bündel stopfte er obenauf in einen schweren Beutel, der dort stand und schon fast voll war. In den Umschlag ließ er den goldenen Ring mit dem Kettchen gleiten, dann versiegelte er ihn und adressierte ihn an Frodo. Zuerst stellte er ihn auf den Kaminsims, aber plötzlich nahm er ihn und steckte ihn in die Tasche. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und Gandalf trat rasch ein.
»Hallo!«, sagte Bilbo. »Ich fragte mich schon, ob du wohl noch auftauchen würdest.«
»Ich freue mich, dich sichtbar vorzufinden«, erwiderte der Zauberer und setzte sich auf einen Stuhl. »Ich wollte dich gern noch sehen und ein paar letzte Worte mit dir reden. Du findest wahrscheinlich, dass alles herrlich und dem Plan entsprechend vonstatten gegangen ist?«
»Ja, sicher«, sagte Bilbo. »Obwohl dieser Blitz überraschend war: Mich hat er erschreckt, ganz zu schweigen von den anderen. Ein kleiner Beitrag von dir, nehme ich an?«
»So ist es. All die Jahre hast du klugerweise den Ring geheim gehalten, und es schien mir erforderlich, deinen Gästen etwas anderes zu bieten, das dein plötzliches Verschwinden vielleicht erklären könnte.«
»Und mir meinen Spaß verderben würde. Du bist ein grässlicher alter Wichtigtuer«, lachte Bilbo. »Aber wie gewöhnlich wirst du es wohl am besten wissen.«
»Allerdings – wenn ich überhaupt etwas weiß. Aber bei dieser ganzen Angelegenheit bin ich nicht so sicher. Sie hat jetzt den Schlusspunkt erreicht. Du hast deinen Spaß gehabt und die Mehrzahl deiner Verwandten erschreckt oder beleidigt und dem ganzen Auenland Gesprächsstoff für neun oder höchstwahrscheinlich neunundneunzig Tage geliefert. Hast du noch mehr vor?«
»Ja. Ich habe das Gefühl, ich brauche Ferien, sehr lange Ferien, wie ich dir schon früher gesagt habe. Wahrscheinlich Dauerferien: Ich glaube nicht, dass ich zurückkommen werde. Ich habe wirklich nicht
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