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Der Herr der Ringe

Der Herr der Ringe

Titel: Der Herr der Ringe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. R. R. Tolkien
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ihn.
    Und plötzlich spürte er das Auge. Da war ein Auge in dem Dunklen Turm, das nicht ruhte. Er wusste, dass es seinen Blick bemerkt hatte. Ein grimmiger, entschlossener Wille war da. Es sprang ihm entgegen; fast wie einen Finger fühlte er es nach ihm suchen. Sehr bald würde es ihn aufspüren und genau wissen, wo er war. Es strich über Amon Lhaw. Es blickte auf Tol Brandir – Frodo ließ sich von dem Sitz fallen, kauerte sich zusammen und zog sich die graue Kapuze über den Kopf.
    Er hörte sich selbst aufschreien: Niemals! Niemals! Oder hatte er gerufen: Wahrlich, ich komme, ich komme zu dir? Er wusste es nicht. Dann schoss ihm ein anderer Gedanke in den Sinn, als ob er ihm von einer anderen Macht eingegeben worden sei: Nimm ihn ab! Nimm ihn ab! Narr, nimm ihn ab! Nimm den Ring ab!
    Die beiden Mächte kämpften in ihm. Gleichsam durchbohrt von der Stoßkraft ihrer Angriffe, wand er sich einen Augenblick lang in Qualen. Plötzlich wurde er sich wieder seiner selbst bewusst. Frodo, weder die Stimme noch das Auge: frei, sich zu entscheiden, und nur ein Moment blieb ihm für diese Entscheidung. Er zog den Ring vom Finger. Er kniete im hellen Sonnenschein vor dem Hochsitz. Ein schwarzer Schatten wie ein Arm schien über ihn hinwegzuziehen; er verfehlte Amon Hen und suchte weiter im Westen und verblasste. Dann war der ganze Himmel klar und blau, und Vögel sangen in jedem Baum.
    Frodo erhob sich. Eine große Müdigkeit lastete auf ihm, aber sein Entschluss stand fest, und sein Herz war leichter. Er sprach laut mit sich selbst. »Ich werde jetzt tun, was ich tun muss«, sagte er. »Das wenigstens ist klar: Das Böse des Ringes wirkt sich sogar schon auf den Bund aus, und der Ring muss die Gefährten verlassen, ehe er mehr Unheil stiftet. Ich werde allein gehen. Einigen kann ich nicht trauen, und diejenigen, denen ich vertrauen kann, sind mir zu lieb: der arme alte Sam, und Merry und Pippin. Und auch Streicher: Sein Herz sehnt sich nach Minas Tirith, und er wird dort gebraucht werden, nachdem Boromir jetzt dem Bösen verfallen ist. Ich werde allein gehen. Sofort.«
    Rasch schritt er den Pfad hinunter und kam wieder zu der Lichtung, wo Boromir ihn gefunden hatte. Dann blieb er stehen und lauschte. Er hörte Schreien und Rufen aus dem Wald unten am Ufer.
    »Sie werden nach mir suchen«, sagte er. »Ich möchte mal wissen, wie lange ich eigentlich fort gewesen bin. Stunden vermutlich.« Er zögerte. »Was kann ich tun?«, murmelte er. »Ich muss jetzt gehen, oder ich werde nie gehen. Es wird sich nicht noch einmal eine Gelegenheit bieten. Ich verlasse sie äußerst ungern, und noch dazu ohne Erklärung. Aber gewiss werden sie es verstehen. Sam wird es verstehen. Und was kann ich sonst tun?«
    Langsam zog er den Ring heraus und streifte ihn wieder auf. Er wurde unsichtbar und eilte den Berg hinab, leiser als ein Rascheln des Windes.
    Die anderen waren lange am Flussufer geblieben. Eine Zeitlang hatten sie nicht gesprochen, sondern waren unruhig auf und ab gelaufen; aber jetzt saßen sie im Kreis und unterhielten sich. Immer wieder bemühten sie sich, von anderen Dingen zu reden, von ihrem langen Weg und ihren vielen Abenteuern; sie fragten Aragorn nach dem Reich Gondor und seiner alten Geschichte und den Resten der großen Bauten, die man noch immer in diesem seltsamen Grenzland des Emyn Muil sehen konnte: die steinernen Könige und die Hochsitze von Lhaw und Hen und die hohe Treppe neben dem Raurosfall. Aber immer kehrten ihre Gedanken und Worte zu Frodo und dem Ring zurück. Wozu würde sich Frodo entschließen? Warum zögerte er?
    »Er überlegt sich, welcher Weg der verzweifeltste ist, glaube ich«, sagte Aragorn. »Und er tut gut daran. Es ist jetzt für die Gemeinschaft hoffnungsloser denn je, nach Osten zu gehen, nachdem Gollum uns aufgespürt hat und wir fürchten müssen, dass das Geheimnis unserer Reise schon verraten ist. Aber Minas Tirith liegt dem Feuer und der Vernichtung der Bürde nicht näher.
    Wir könnten dort eine Weile bleiben und tapfer Widerstand leisten; aber der Herr Denethor und alle seine Mannen können nicht hoffen, das zu vollbringen, wovon selbst Elrond sagte, es übersteige seine Macht: entweder die Bürde geheim zu halten oder die gesamte Streitmacht des Feindes abzuwehren, wenn er sie entsendet. Welchen Weg würde einer von uns an Frodos Stelle wählen? Ich weiß es nicht. Jetzt fehlt uns Gandalf wirklich sehr.«
    »Schmerzlich ist unser Verlust«, sagte Legolas. »Doch müssen wir nun

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