Der Herr der Ringe
zu diesem oder jenem Weg zuzureden. Und ich glaube auch nicht, dass es uns gelingen würde, wenn wir es versuchten. Da sind andere Mächte am Werk, die weit stärker sind.«
»Na, ich wünschte, Frodo würde sich durchringen und zurückkommen, damit wir die Sache hinter uns bringen«, sagte Pippin. »Dieses Warten ist entsetzlich. Die Zeit ist doch sicher schon um?«
»Ja«, sagte Aragorn. »Eine Stunde ist längst vorbei. Der Vormittag ist bald vergangen. Wir müssen ihn rufen.«
In diesem Augenblick tauchte Boromir wieder auf. Er kam zwischen den Bäumen hervor und ging ohne ein Wort auf sie zu. Sein Gesicht sah düster und traurig aus. Er hielt inne, als ob er die Anwesenden zählte, und dann setzte er sich hin, abseits von den anderen, und hielt die Augen auf den Boden gerichtet.
»Wo warst du, Boromir?«, fragte Aragorn. »Hast du Frodo gesehen?«
Boromir zögerte eine Sekunde. »Ja und nein«, antwortete er dann stockend. »Ja, ich habe ihn ein Stück bergaufwärts getroffen und mit ihm gesprochen. Ich drängte ihn, mit nach Minas Tirith zu kommen und nicht in den Osten zu gehen. Ich wurde ärgerlich, und er verließ mich. Er verschwand. So etwas habe ich noch nie gesehen, obwohl ich in Erzählungen davon gehört habe. Er muss den Ring aufgesetzt haben. Ich konnte ihn nicht wiederfinden. Ich hatte angenommen, er würde zu euch zurückkommen.«
»Ist das alles, was du zu sagen hast?«, fragte Aragorn und sah Boromir scharf und nicht allzu freundlich an.
»Ja«, antwortete er. »Mehr will ich noch nicht sagen.«
»Das ist schlecht!«, rief Sam und sprang auf. »Ich weiß nicht, was dieser Mensch vorgehabt hat. Warum sollte Herr Frodo das Ding aufsetzen? Er hätte es nicht tun sollen; und wenn er es getan hat, dann weiß der Himmel, was geschehen sein mag!«
»Doch wird er ihn nicht aufbehalten haben«, sagte Merry. »Nicht, wenn er dem unwillkommenen Besucher entwischt ist, wie Bilbo es zu machen pflegte.«
»Aber wo ist er hingegangen? Wo ist er?«, rief Pippin. »Er ist jetzt schon eine Ewigkeit weg.«
»Wie lange ist es her, dass du Frodo zuletzt gesehen hast, Boromir?«, fragte Aragorn.
»Eine halbe Stunde vielleicht«, antwortete er. »Oder es könnte auch eineStunde sein. Ich bin seitdem etwas herumgewandert. Ich weiß es nicht! Ich weiß es nicht!« Er stützte den Kopf in die Hände und saß da wie von Gram gebeugt.
»Eine Stunde, seit er verschwunden ist!«, schrie Sam. »Wir müssen sofort versuchen, ihn zu finden. Kommt mit!«
»Wartet einen Augenblick!«, rief Aragorn. »Wir müssen jeweils zu zweit gehen – hier, haltet an! Wartet!«
Es hatte keinen Zweck. Sie hörten gar nicht mehr auf ihn. Sam war als Erster losgestürmt. Merry und Pippin waren ihm auf den Fersen und verschwanden gerade westwärts zwischen den Bäumen am Ufer und riefen Frodo! Frodo! mit ihren hellen, hohen Hobbitstimmen. Legolas und Gimli rannten davon. Eine plötzliche Panik oder Raserei schien die Gemeinschaft befallen zu haben.
»Wir werden uns alle verstreuen und verirren«, stöhnte Aragorn. »Boromir, ich weiß nicht, welche Rolle du bei diesem Unheil gespielt hast, aber hilf jetzt! Gehe den beiden jungen Hobbits nach und beschütze sie wenigstens, selbst wenn du Frodo nicht finden kannst. Komm hierher zurück, wenn du ihn oder irgendwelche Spuren von ihm findest. Ich werde bald wieder da sein.«
Aragorn eilte rasch davon und ging Sam nach. Gerade als Sam die kleine Wiese zwischen den Ebereschen erreicht hatte, sich keuchend bergauf quälte und Frodo rief, überholte er ihn.
»Komm mit mir mit, Sam!«, sagte er. »Keiner von uns sollte allein laufen. Irgendein Unheil ist im Gange. Ich spüre es. Ich gehe auf den Gipfel, zum Sitz von Amon Hen, ob ich etwas sehen kann. Und schau! Wie ich geahnt habe, Frodo ist hier langgegangen. Komm mir nach und halte die Augen offen!« Er hastete den Pfad hinauf.
Sam tat sein Möglichstes, aber mit Streicher, dem Waldläufer, konnte er nicht Schritt halten und blieb bald zurück. Er war noch nicht weit gegangen, da war Aragorn schon außer Sicht. Sam blieb stehen und schnaufte. Plötzlich schlug er sich mit der Hand vor die Stirn.
»Halt, Sam Gamdschie!«, sagte er laut. »Deine Beine sind zu kurz, also gebrauche deinen Kopf. Nun wollen wir mal sehen. Boromir lügt nicht, das ist nicht seine Art; aber er hat uns nicht alles erzählt. Irgendetwas hat Herrn Frodo mächtig erschreckt. Er hat sich auf der Stelle durchgerungen, plötzlich. Er hat sich endlich
Weitere Kostenlose Bücher