Der Herr der Ringe
nach den Entfrauen gesucht, wir sind weit gewandert und haben sie bei ihren schönen Namen gerufen. Und jetzt sind Entfrauen nur eine Erinnerung für uns, und unsere Bärte sind lang und grau. Die Elben dichteten viele Lieder über die Suche der Ents, und einige der Lieder sind auch in die Sprachen der Menschen eingegangen. Doch wir dichteten keine Lieder darüber, sondern begnügten uns damit, ihre schönen Namen zu singen, wenn wir an die Entfrauen dachten. Wir glauben, dass wir sie in einer kommenden Zeit vielleicht wiedertreffen und irgendwo ein Land finden, wo wir zusammenleben können und beide Seiten zufrieden sind. Aber es ist geweissagt worden, dass das erst sein wird, wenn sie und wir alles verloren haben, was wir jetzt besitzen. Und es mag wohl sein, dass diese Zeit sich endlich nähert. Denn wenn Sauron einstmals die Gärten zerstörte, so ist es wahrscheinlich, dass heute der Feind alle Wälder vernichten wird.
Es gab ein elbisches Lied, das davon sprach, oder wenigstens verstehe ich es so. Es wurde früher überall am Großen Strom gesungen. Es war niemals ein entisches Lied, wohlgemerkt: Auf Entisch wäre es ein sehr langes Lied gewesen. So lautet es in eurer Sprache:
ENT: Entfaltet Frühling Blatt um Blatt, steht Buche schon im Saft ,
Schießt auch der Wildbach schnell dahin und hat die Sonne Kraft,
Macht in der herben Höhenluft zu wandern wieder Lust,
O, sag mir dann: schön ist Dein Land – und komm an meine Brust.
ENTFRAU: Bricht Lenz in meine Gärten ein und ist das Korn gesät,
Blühn meine Apfelbäume reich, als wie von Schnee verweht,
Und lösen sich die Schauer ab mit Sonnenschein und Duft,
Dann komm ich nicht, mich hält es hier in der geliebten Luft.
ENT: Wenn Sommer alles überkommt, der Mittag golden webt,
Wenn unterm Blätterdach im Wald der Sämling träumt und lebt,
Kein bessres Land gibts auf der Welt als dieses meine hier,
O, komm zurück, ich rufe Dich, o, komm zurück zu mir.
ENTFRAU: Wenn Sommer Frucht und Beere reift und rundlich schwellen lässt,
Den Halm vergoldet, Ähre füllt und ruft zum Erntefest,
Wenn Honig quillt und Apfel prallt, weht milder West wie Föhn,
Ich kann nicht fort, ich bleibe hier, mein Land ist wunderschön.
ENT: Kehrt Winter ein, der wilde Mann, der Hügel schlägt und Wald,
Der Bäume stürzt, folgt unbestirnt die Nacht dem Tage bald,
Im bittern Regen und bei Wind, da schau ich nach Dir aus,
Da ruf ich Dich, da möchte ich zu Dir, zu Dir nach Haus.
ENTFRAU: Wenn winters Sang und Klang verstummt, das Dunkel niederfällt,
Der Baum verdorrt, das Licht dahin und tatenlos die Welt,
Wart ich auf Dich und schau nach Dir, bis wir uns wiedersehn,
Im Regen wollen wir den Weg mitsammen wieder gehn!
BEIDE: Mitsammen ziehen wir den Weg, der in den Westen führt
Ins Land, das unser beider Herz zur Ruhe bringt und rührt.«
Baumbart beendete seinen Gesang. »So lautet es«, sagte er. »Es ist natürlich elbisch: fröhlich, rasch in Worte gefasst und bald zu Ende. Ich glaube, es ist recht gut. Aber die Ents könnten ihrerseits mehr sagen, wenn sie Zeit hätten! Doch jetzt will ich aufstehen und ein wenig schlafen. Wo wollt ihr stehen?«
»Wir legen uns gewöhnlich hin zum Schlafen«, sagte Merry. »Wir können gut bleiben, wo wir sind.«
»Hinlegen zum Schlafen!«, sagte Baumbart. »Natürlich tut ihr das! Hm hum, das habe ich vergessen: als ich das Lied sang, habe ich mich im Geist in alte Zeiten versetzt; habe fast gedacht, ich unterhielte mich mit jungen Entings. Nun, ihr könnt euch auf das Bett legen. Ich will im Regen stehen. Gute Nacht!«
Merry und Pippin kletterten auf das Bett und kuschelten sich in die weiche Unterlage aus Gras und Farn. Sie war frisch und süßduftend und warm. Die Lichter erloschen langsam, und das Leuchten der Bäume verblasste; doch draußen unter dem Gewölbebogen sahen sie Baumbart stehen, reglos, die Arme über den Kopf erhoben. Die hellen Sterne blickten vom Himmel herab und erhellten den Wasserfall, der auf seine Finger und seinen Kopf sprühte und in Hunderten von silbernen Tropfen zu seinen Füßen hinabrann. Dem Plätschern der Tropfen lauschend, schliefen die Hobbits ein.
Als sie aufwachten, schien eine kühle Sonne in den großen Vorhof und bis hinein auf den Fußboden des
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