Der Herr der Ringe
uns zu sagen habt?«, fragte Aragorn. »Der Morgen vergeht, und wir haben eine Aufgabe, die nicht unerledigt bleiben kann.«
»Was ich zu sagen wünschte, das habe ich gesagt: Was mögt ihr hier tun, und welche Geschichte könnt ihr über euch berichten? Was meinen Namen betrifft …«, er brach ab und lachte lange und leise. Aragorn spürte, wie ihn bei diesem Klang ein Schauer überlief, ein seltsames, kaltes Erbeben; und dennoch war es nicht Furcht oder Entsetzen, was ihn befiel: Es war eher wie die plötzliche Schärfe einer frischen Brise oder das Klatschen von kaltem Regen, der einen unruhigen Schläfer weckt.
»Mein Name!«, sagte der alte Mann noch einmal. »Habt ihr ihn nicht bereits erraten? Ihr habt ihn schon früher gehört, glaube ich. Ja, ihr habt ihn schon früher gehört. Aber wie ist das nun mit eurer Geschichte?«
Die drei Gefährten standen stumm da und gaben keine Antwort.
»Manche Leute würden zu zweifeln beginnen, ob über euren Auftrag überhaupt gesprochen werden darf«, sagte der alte Mann. »Zum Glück weiß ich etwas darüber. Ihr verfolgt die Spuren zweier junger Hobbits, glaube ich. Ja, Hobbits. Starrt mich nicht so an, als hättet ihr diesen seltsamen Namen noch nie gehört. Ihr habt ihn gehört, und ich auch. Ja, vorgestern sind sie hier heraufgeklettert; und sie trafen jemanden, den sie nicht erwartet hatten. Tröstet euch das? Und nun wollt ihr gern wissen, wo sie hingebracht wurden? Nur ruhig, vielleicht kann ich euch darüber etwas Neues sagen. Aberwarum steht ihr? Euer Auftrag ist, wie ihr seht, nicht mehr so dringend, wie ihr glaubtet. Wir wollen uns setzen und es uns bequemer machen.«
Der alte Mann wandte sich um und ging zu einem Haufen herabgefallener Steine und Felsbrocken am Fuß der hinteren Steilwand. Als ob ein Zauberbann gebrochen sei, entspannten sich die anderen sofort und bewegten sich. Gimlis Hand griff gleich nach dem Schaft seiner Axt. Aragorn zog sein Schwert. Legolas hob seinen Bogen auf.
Der alte Mann kümmerte sich nicht darum, sondern setzte sich auf einen niedrigen, flachen Stein. Dann schlug sein grauer Mantel auf, und sie sahen unbezweifelbar, dass er darunter ganz in Weiß gekleidet war.
»Saruman!«, rief Gimli und sprang mit der Axt in der Hand auf ihn zu. »Sprecht! Sagt uns, wo Ihr unsere Freunde verborgen habt. Was habt Ihr mit ihnen gemacht? Sprecht, oder ich mache Euch eine Delle in den Hut, mit der fertigzuwerden selbst einem Zauberer schwerfallen wird!«
Der alte Mann war zu schnell für ihn. Er sprang auf die Füße und mit einem Satz auf einen großen Felsblock hinauf. Dort stand er, plötzlich groß geworden, sie überragend. Seine Kapuze und die grauen Lumpen warf er ab. Sein weißes Gewand schimmerte. Er hob seinen Stab, und Gimlis Axt entwand sich seinem Griff und fiel klirrend auf den Boden. Aragorns Schwert, das er fest in der reglosen Hand hielt, loderte von einem plötzlichen Feuer. Legolas stieß einen lauten Ruf aus und schoss einen Pfeil hoch in die Luft; er verschwand in einem Flammenblitz.
»Mithrandir!«, rief er. »Mithrandir!«
»Gut, dass ich dich treffe, sage ich wiederum zu dir, Legolas«, sagte der alte Mann.
Sie alle starrten ihn an. Sein Haar war weiß wie Schnee in der Sonne, und schimmernd weiß war sein Gewand; die Augen unter den dichten Brauen funkelten und waren durchdringend wie die Strahlen der Sonne; Macht war in seiner Hand. Hin- und hergerissen zwischen Staunen, Freude und Furcht standen sie da und brachten kein Wort heraus.
Endlich rührte Aragorn sich. »Gandalf!«, schrie er. »Wider alle Hoffnung kehrst du in unserer Not zu uns zurück! Welcher Schleier lag auf meinem Blick. Gandalf!« Gimli sagte nichts, sondern sank auf die Knie und legte die Hand vor die Augen.
»Gandalf«, wiederholte der alte Mann, als ob er sich aus alten Erinnerungen eines lange nicht gebrauchten Wortes entsinne. »Ja, das war der Name. Ich war Gandalf.«
Er stieg von dem Felsen herab, nahm seinen grauen Mantel und zog ihn um sich: Es war, als habe die Sonne geschienen und sei jetzt wieder in Wolken verborgen. »Ja, ihr dürft mich noch Gandalf nennen«, sagte er, und die Stimme war die Stimme ihres alten Freundes und Führers. »Steh auf, mein guter Gimli! Keine Schuld trifft dich, und mir ist kein Leid geschehen. Fürwahr, meine Freunde, keiner von euch hat eine Waffe, die mich verletzen könnte. Freut euch. Wir sind wieder beisammen. Am Wendepunkt des Schicksals. Der große Sturm kommt, aber das Blatt hat sich
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