Der Herr der Ringe
dunklen Herrn, dem Ihr uns ausliefern wolltet. Ihr seid ein Lügner, Saruman, und ein Verführer der Herzen der Menschen. Ihr streckt mir die Hand entgegen, und ich erkenne nur einen Finger der Klaue von Mordor. Grausam und kalt! Selbst wenn Euer Krieg gegen mich gerecht gewesen wäre – was er nicht war, denn wenn Ihr zehnmal so klug wäret, hättet Ihr doch kein Recht, mich und mein Reich zu Eurem eigenen Vorteil zu beherrschen, wie Ihr es wünschtet –, selbst dann, was werdet Ihr über Eure Feuersbrünste in Westfold sagen und über die Kinder, die dort getötet wurden? Und sie haben Hámas Körper vor den Toren der Hornburg zerhackt, nachdem er tot war. Wenn Ihr an einem Balken Eures Fensters wie an einem Galgen hängt zum Vergnügen Eurer eigenen Krähen, dann werde ich Frieden haben mit Euch und Orthanc. Soviel für Eorls Haus. Ein unbedeutender Sohn großer Vorfahren bin ich, aber ich habe es nicht nötig, Euch die Hand zu lecken. Wendet Euch anderswohin. Doch ich fürchte, Eure Stimme hat ihren Zauber verloren.«
Die Reiter starrten zu Théoden hinauf wie Menschen, die aus einem Traum auffahren. Misstönend wie die Stimme eines alten Raben klang die ihres Herrn in ihren Ohren nach Sarumans Wohllaut. Aber Saruman war eine Weile außer sich vor Zorn. Er beugte sich über das Geländer, als ob er den König mit seinem Stab schlagen wollte. Einigen kam es plötzlich vor, als sähen sie eine Schlange, die sich zusammenrollt, ehe sie ihre Giftzähne in das Opfer schlägt.
»Galgen und Krähen!«, zischte er, und es schauderte sie, so abscheulich hatte sich die Stimme verändert. »Schwachsinniger Greis! Was ist Eorls Haus anderes als eine strohgedeckte Scheune, wo Straßenräuber in stinkigem Rauch trinken und ihre Sprösslinge sich zwischen den Hunden auf dem Fußboden suhlen? Zu lange sind sie selbst dem Galgen entronnen. Doch der Fallstrick kommt, langsam zieht sich die Schlinge zu, fest und hart zuletzt. Hängt, wen Ihr wollt!« Jetzt änderte sich seine Stimme wieder, während erallmählich seine Selbstbeherrschung zurückgewann. »Ich weiß nicht, warum ich die Geduld aufbringe, mit Euch zu reden. Denn ich brauche Euch nicht, und auch nicht Eure kleine Bande galoppierender Reiter, ebenso bereit zur Flucht wie zum Angriff, Théoden Pferdeherr. Vor langer Zeit bot ich Euch eine Machtstellung an, die Euer Verdienst und Euren Verstand überstieg. Ich habe das Angebot wiederholt, sodass jene, die Ihr in die Irre führt, deutlich sehen können, welcher andere Weg zur Wahl steht. Ihr überschüttet mich mit Prahlereien und Schmähungen. So sei es denn. Kehrt heim in Eure Hütten!
Aber du, Gandalf! Um dich zumindest gräme ich mich, denn deine Schande dauert mich. Wie kommt es, dass du solche Gesellschaft ertragen kannst? Denn du bist stolz, Gandalf – und nicht ohne Verstand, hast einen edlen Sinn und Augen, die sowohl tief als auch weit sehen. Nicht einmal jetzt willst du auf meinen Rat hören?«
Gandalf schaute hinauf. »Was hast du zu sagen, was du nicht schon bei unserer letzten Begegnung gesagt hättest?«, fragte er. »Oder vielleicht hast du etwas zu widerrufen?«
Saruman zögerte. »Widerrufen?«, wiederholte er, als ob er angestrengt nachdächte. »Widerrufen? Ich trachtete, dir zu deinem Nutz und Frommen zu raten, aber du hast kaum zugehört. Du bist stolz und liebst es nicht, Rat zu empfangen, denn du hast fürwahr einen eigenen Schatz an Weisheit. Aber bei jener Gelegenheit irrtest du, glaube ich, und hast meine Absichten bewusst falsch ausgelegt. Ich fürchte, dass ich in meinem Eifer, dich zu überzeugen, die Geduld verlor. Und das bedauere ich wirklich. Denn ich hegte keinen Groll gegen dich, und selbst jetzt hege ich keinen Groll, obwohl du zu mir zurückkehrst in der Gesellschaft von Gewalttätigen und Unwissenden. Wie sollte ich auch? Sind wir nicht beide Mitglieder eines hohen und alten Ordens, des hervorragendsten in Mittelerde? Unsere Freundschaft würde uns beiden zum Nutzen gereichen. Viel könnten wir noch gemeinsam vollbringen, um die Wirren der Welt zu bereinigen. Lass uns einander verstehen und diese geringeren Leute aus unseren Gedanken verbannen! Lass sie unserer Entscheidungen harren! Um des Gemeinwohls willen bin ich bereit, das Gewesene wiedergutzumachen und dich zu empfangen. Willst du dich nicht mit mir beraten? Willst du nicht heraufkommen?«
So groß war die Macht, die Saruman bei seiner letzten Anstrengung ausübte, dass keiner, der in Hörweite stand, unbeeindruckt
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