Der Herr der Ringe
»Wenigstens keinen Ork. Aber ich sah etwas, das ein wenig seltsam war, oder glaubte es zu sehen. Es wurde schon sehr dunkel, und dann machen die Augen die Dinge größer, als sie sein sollten. Also vielleicht war es nicht mehr als ein Eichhörnchen.« Sam spitzte die Ohren, als er das hörte. »Wenn es eins war, dann jedenfalls ein schwarzes Eichhörnchen, und ich sah keinen Schwanz. Es war wie ein Schatten auf dem Boden, und es huschte hinter einen Baumstamm, als ich näher kam,und kletterte so schnell hinauf, wie es nur ein Eichhörnchen könnte. Ihr wollt ja nicht, dass wir wilde Tiere ohne Grund erschlagen, und es schien nicht mehr zu sein, deshalb versuchte ich es nicht mit einem Pfeil. Es war sowieso zu dunkel für einen sicheren Schuss, und das Geschöpf war im Handumdrehen in der Finsternis der Blätter verschwunden. Aber ich blieb eine Weile stehen, denn es kam mir seltsam vor, und dann eilte ich hierher. Ich glaubte zu hören, dass das Geschöpf mich von oben anzischte, als ich weiterging. Ein großes Eichhörnchen, vielleicht. Mag sein, dass unter dem Schatten des Ungenannten einige Tiere von Düsterwald hierher in unsere Wälder wandern. Dort gibt es schwarze Eichhörnchen, wie es heißt.«
»Vielleicht«, sagte Faramir. »Aber das wäre ein böses Vorzeichen, wenn es so wäre. Wir wollen nicht die aus dem Düsterwald Entkommenen in Ithilien haben.« Sam bildete sich ein, dass er einen raschen Blick auf die Hobbits warf, als er sprach; aber Sam sagte nichts. Eine Weile lagen er und Frodo auf dem Rücken und beobachteten die Fackeln und die Menschen, die hin und her gingen und leise miteinander redeten. Dann schlief Frodo von einem Moment zum nächsten ein.
Sam kämpfte mit sich und erhob alle möglichen Einwendungen. »Er mag ganz in Ordnung sein«, dachte er, »aber vielleicht auch nicht. Schöne Reden mögen ein verderbtes Herz verbergen.« Er gähnte. »Eine ganze Woche könnte ich schlafen, und es würde mir gut bekommen. Und was kann ich tun, wenn ich wach bleibe; ich allein unter all diesen großen Menschen? Nichts, Sam Gamdschie; aber trotzdem musst du wach bleiben.« Und irgendwie brachte er es auch fertig. Das Licht verblasste vor der Höhlentür, der graue Schleier des herabstürzenden Wassers wurde düster und verlor sich in den wachsenden Schatten. Immer hielt das Geräusch des Wassers an, niemals änderte es seine Melodie, des Morgens, des Abends oder des Nachts. Es murmelte und flüsterte von Schlaf. Sam bohrte sich die Knöchel in die Augen.
Jetzt wurden noch mehr Fackeln angezündet. Ein Fass Wein wurde angestochen. Vorratsfässer wurden geöffnet. Die Menschen holten Wasser vom Wasserfall. Einige wuschen sich die Hände in Becken. Eine große Kupferschale wurde Faramir gebracht, und er wusch sich auch.
»Weckt unsere Gäste«, sagte er, »und bringt ihnen Wasser. Es ist Essenszeit.«
Frodo setzte sich auf, gähnte und reckte sich. Sam, der es nicht gewohnt war, bedient zu werden, sah den großen Menschen überrascht an, der sich bückte und ihm ein Wasserbecken hinhielt.
»Stellt es auf den Boden, Herr, bitte schön«, sagte er. »Es ist einfacher für mich und für Euch.« Zur Verwunderung und Belustigung der Menschen tauchte er dann seinen Kopf in das kalte Wasser und benetzte Hals und Ohren.
»Ist es Sitte in eurem Land, sich vor dem Abendessen den Kopf zu waschen?«, fragte der Mann, der die Hobbits bediente.
»Nein, vor dem Frühstück«, sagte Sam. »Aber wenn man wenig geschlafen hat, ist kaltes Wasser auf dem Hals wie Regen auf einem verwelkten Salatkopf. So! Jetzt kann ich lange genug wach bleiben, um ein bisschen zu essen.«
Sie wurden zu Sitzen neben Faramir geführt: mit Fellen bedeckten Fässern, die zu ihrer Bequemlichkeit höher als die Bänke der Menschen waren. Ehe sie aßen, drehten sich Faramir und alle seine Mannen um und blickten einen Augenblick schweigend nach Westen. Faramir bedeutete Frodo und Sam, es gleichfalls zu tun.
»Das tun wir immer«, sagte er, als sie sich setzten. »Wir blicken nach Númenor, das war, und jenseits davon nach Elbenheim, das ist, und nach dem, was jenseits von Elbenheim ist und immer sein wird. Habt ihr keine solche Sitte bei den Mahlzeiten?«
»Nein«, sagte Frodo und kam sich seltsam bäurisch und ungelehrt vor. »Aber wenn wir Gäste sind, verbeugen wir uns vor unserem Gastgeber, und nachdem wir gegessen haben, stehen wir auf und danken ihm.«
»Das tun wir auch«, sagte Faramir.
Nach so langen Wanderungen, dem Lagerleben
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