Der Herr der Ringe
ihnen, und die Hoffnung schwand in jedem Herz.
VIERTES KAPITEL
DIE BELAGERUNG VON GONDOR
P ippin wurde von Gandalf geweckt. Kerzen brannten in ihrem Zimmer, denn nur ein düsteres Zwielicht drang durch die Fenster; die Luft war drückend, als ob ein Gewitter aufzöge.
»Wie spät ist es?«, fragte Pippin gähnend.
»Die zweite Stunde ist vorbei«, sagte Gandalf. »Zeit aufzustehen und sich in Schale zu werfen. Du bist zum Herrn der Stadt gerufen worden und sollst über deine neuen Pflichten unterrichtet werden.«
»Und wird er für Frühstück sorgen?«
»Nein! Dafür habe ich gesorgt: Das hier ist alles, was du bis zum Mittag bekommst. Es ist ein Befehl ergangen, das Essen jetzt sparsam auszuteilen.«
Wehmütig blickte Pippin auf den kleinen Laib Brot und das (wie er fand) sehr unzulängliche Klümpchen Butter, die neben einem Becher dünner Milch vor ihm standen. »Warum hast du mich bloß hierher gebracht?«, fragte er.
»Das weißt du ganz genau«, sagte Gandalf. »Damit du kein Unheil anrichtest; und wenn es dir nicht gefällt, hier zu sein, dann denke daran, dass du es dir selbst eingebrockt hast.« Pippin sagte nichts mehr.
Es dauerte nicht lange, da ging er wiederum mit Gandalf den kalten Gang entlang zur Tür der Turmhalle. Dort saß Denethor in grauer Düsternis. »Wie eine alte, geduldige Spinne«, dachte Pippin; Denethor schien sich seit gestern nicht gerührt zu haben. Er winkte Gandalf, Platz zu nehmen, aber er ließ Pippin eine Weile stehen, ohne ihn zu beachten. Plötzlich wandte sich der alte Mann zu ihm um:
»Nun, Herr Peregrin, ich hoffe, du hast den gestrigen Tag zu deinem Nutzen und nach deinem Geschmack verbracht. Obwohl ich fürchte, dass die Tafel in dieser Stadt kärglicher ist, als du dir wünschtest.«
Pippin hatte das unbehagliche Gefühl, dass das meiste von dem, was er gesagt oder getan hatte, dem Herrn der Stadt bekannt sei, und auch viel von dem, was er dachte, erraten wurde. Er antwortete nicht.
»Was willst du tun in meinem Dienst?«
»Ich dachte, Herr, dass Ihr mir meine Pflichten nennen würdet.«
»Das werde ich, wenn ich weiß, wofür du geeignet bist«, sagte Denethor. »Aber das werde ich am ehesten erfahren, wenn ich dich bei mir behalte. Mein Kammerjunker hat um die Erlaubnis gebeten, zu den Außenposten versetzt zu werden, so sollst du eine Weile seine Stelle einnehmen. Du sollstmir aufwarten, Botengänge erledigen und mich unterhalten, wenn Krieg und Beratungen mir Muße dazu lassen. Kannst du singen?«
»Ja«, sagte Pippin. »Nun ja, gut genug für mein eigenes Volk. Aber wir haben keine Lieder, die für große Hallen und schlimme Zeiten passend sind, Herr. Wir singen selten von etwas Schrecklicherem als Wind oder Regen. Und bei den meisten meiner Lieder handelt es sich um Dinge, die uns zum Lachen bringen; oder um Essen und Trinken, natürlich.«
»Und warum sollten solche Lieder für meine Hallen unpassend sein, oder für solche Stunden wie diese? Wir, die wir lange unter dem Schatten gelebt haben, dürfen doch gewiss den Klängen aus einem Lande lauschen, das noch nicht von ihm beunruhigt wurde? Dann können auch wir das Gefühl haben, dass unsere Wache nicht fruchtlos war, auch wenn sie uns nicht gedankt wurde.«
Pippin sank der Mut. Ihm gefiel der Gedanke gar nicht, dem Herrn von Minas Tirith irgendwelche Lieder aus dem Auenland vorzusingen, und gewiss nicht die komischen, die er am besten konnte; sie waren zu – nun ja, zu bäurisch für eine solche Gelegenheit. Indes blieb ihm die Prüfung im Augenblick erspart. Es wurde ihm nicht befohlen zu singen. Denethor wandte sich an Gandalf und stellte ihm Fragen über die Rohirrim und ihr Staatswesen und die Stellung von Éomer, des Königs Neffen. Pippin staunte, wie viel der Herr zu wissen schien über ein Volk, das so weit entfernt lebte, obwohl es, wie er glaubte, viele Jahre her sein musste, dass Denethor selbst ins Ausland geritten war.
Plötzlich winkte Denethor Pippin zu und entließ ihn wieder für eine Weile. »Geh zur Waffenmeisterei der Veste«, sagte er, »und hole dir dort die Hoftracht und die Waffen des Turms. Es wird alles bereitliegen. Es wurde gestern angeordnet. Komm wieder, wenn du angekleidet bist!«
Es war, wie er gesagt hatte; und Pippin sah sich bald in seltsame Gewändern gekleidet, alle in Schwarz und Silber. Er hatte ein kleines Panzerhemd, dessen Ringe vielleicht aus Stahl geschmiedet, aber tiefschwarz waren; einen hochgewölbten Helm mit kleinen Rabenflügeln an beiden
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