Der Herr der Ringe
kamen, wusste keiner. Sie gingen ohne Deckung, aber achtsam, und vor ihnen auf der Straße waren berittene Späher, und andere zu Fuß auf beiden Seiten, besonders an der Ostflanke; denn dort lagen große Dickichte, und das abschüssige Land war voller Schluchten und Felsen, hinter denen die langen, düsteren Hänge des Ephel Dúath emporklommen. Das Wetter der Welt war schön geblieben, und der Wind wehte stetig von Westen, aber nichts konnte die Düsternis und die traurigen Nebel vertreiben, die um das Schattengebirge hingen; und dahinter stiegen zuweilen große Rauchwolken auf und schwebten in den oberen Winden.
Dann und wann ließ Gandalf die Trompeten blasen, und die Herolde riefen: »Die Herren von Gondor sind gekommen!« Aber Imrahil sagte: »Sagtnicht Die Herren von Gondor . Sagt Der König Elessar. Denn das ist wahr, selbst wenn er noch nicht auf dem Thron gesessen hat; und es wird dem Feind mehr zu denken geben, wenn die Herolde diesen Namen nennen.« Und danach kündeten die Herolde dreimal am Tag das Kommen des Königs Elessar an. Aber niemand antwortete auf die Herausforderung.
Obwohl sie in scheinbarem Frieden marschierten, waren die Herzen des ganzen Heeres, vom Höchsten bis zum Niedrigsten, bedrückt, und mit jeder Meile, die sie nach Norden gingen, lastete die Vorahnung von Unheil immer schwerer auf ihnen. Der zweite Tag ihres Marsches seit der Wegscheide näherte sich seinem Ende, als sie zum ersten Mal auf einen kampfbereiten Gegner stießen. Denn eine zahlenstarke Rotte von Orks und Ostlingen versuchte, ihre Vorhut aus dem Hinterhalt zu überfallen; und es war genau an der Stelle, wo Faramir den Menschen aus Harad aufgelauert hatte und wo die Straße in einem tiefen Durchstich einen Ausläufer der östlichen Berge durchstieß. Aber die Heerführer des Westens waren durch ihre Späher, erfahrene Männer aus Henneth Annûn unter Führung von Mablung, rechtzeitig gewarnt worden; und so gerieten die im Hinterhalt Liegenden selbst in eine Falle. Denn Reiter beschrieben einen weiten Bogen nach Westen und griffen die Feinde an der Flanke und von hinten an, und sie wurden niedergemacht oder nach Osten in die Berge getrieben.
Doch der Sieg ermutigte die Heerführer nur wenig. »Es ist nur ein Scheinangriff«, sagte Aragorn, »und sein Hauptzweck, glaube ich, war eher, uns durch eine falsche Einschätzung der Schwäche unseres Feindes weiterzulocken, als uns großen Schaden zuzufügen.« Und seit diesem Abend kamen die Nazgûl und verfolgten jede Bewegung des Heeres. Sie flogen noch hoch und außer Sichtweite von allen außer Legolas, und doch war ihre Anwesenheit spürbar wie eine Verdunkelung der Schatten und eine Trübung der Sonne. Und obwohl die Ringgeister noch nicht auf ihre Feinde hinunterstießen und stumm waren und keinen Schrei von sich gaben, ließ sich das Grauen vor ihnen nicht abschütteln.
So verging die Zeit, und der hoffnungslose Marsch zog sich weiter hin. Am vierten Tag, nachdem sie vom Scheideweg, und am sechsten Tag, nachdem sie von Minas Tirith aufgebrochen waren, kamen sie endlich ans Ende der lebenden Lande und zogen durch die Einöde, die vor den Toren des Passes von Cirith Gorgor lag; und von dort erblickten sie die Sümpfe und die Wüstenei, die sich südlich und östlich des Emyn Muil erstreckten. So trostlos waren diese Orte und so abgrundtief der Schrecken, der auf ihnen lag, dass einige aus dem Heer den Mut verloren und nicht weiter nach Norden zu gehen oder zu reiten vermochten.
Aragorn sah sie an, und es war eher Mitleid in seinem Blick als Zorn; denn es waren junge Männer aus Rohan, aus dem fernen Westfold, oder Bauernaus Lossarnach, und für sie war Mordor von Kindheit an ein Name des Bösen gewesen, und dennoch unwirklich, eine Sage, die nichts mit ihrem einfachen Leben gemein hatte; und nun gingen sie wie Menschen in einem abscheulichen Traum, der Wirklichkeit geworden war, und sie verstanden weder diesen Krieg noch warum das Schicksal sie in eine so missliche Lage gebracht hatte.
»Geht!«, sagte Aragorn. »Aber behaltet so viel Ehre, wie ihr könnt, und flieht nicht! Und es gibt eine Aufgabe, die ihr erfüllen könnt, damit ihr euch nicht nur zu schämen braucht. Schlagt den Weg nach Südwesten ein, bis ihr nach Cair Andros kommt, und wenn es noch vom Feind besetzt ist, wie ich glaube, dann erobert es zurück, wenn ihr könnt; und haltet es bis zuletzt zum Schutz von Gondor und Rohan!«
Da waren einige beschämt durch sein Mitleid, und sie überwanden ihre
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