Der Herr der Ringe
Mond oder Stern sind mir geblieben. Ich bin nackt in der Dunkelheit, Sam, und es gibt keinen Schleier zwischen mir und dem Feuerrad. Ich fange an, es schon mit wachen Augen zu sehen, und alles andere verblasst.«
Sam ging zu ihm und küsste seine Hand. »Je schneller wir ihn loswerden, umso schneller findest du dann Ruhe«, sagte er stockend und fand nichts Besseres zu sagen. »Reden bessert auch nichts«, murmelte er vor sich hin, als er all die Sachen aufsammelte, die wegzuwerfen sie beschlossen hatten. Er wollte sie nicht für alle Augen sichtbar in der Wildnis liegen lassen. »Stinker hat offenbar diesen Orkpanzer an sich genommen, und er soll nicht noch ein Schwert dazu kriegen. Seine Hände sind schon schlimm genug, wenn er nichts darin hält. Und an meinem Kochgeschirr soll er jedenfalls nicht herumfummeln!« Damit trug er alle Sachen zu einer der vielen gähnenden Spalten, die das Land durchschnitten, und warf sie hinein. Das Klappern seinerkostbaren Töpfe, als sie ins Dunkle hinabfielen, war wie eine Totenglocke für sein Herz.
Er kam zu Frodo zurück und schnitt dann ein kurzes Ende von seinem Elbenseil ab, das seinem Herrn als Gürtel dienen und ihm den grauen Mantel fest um den Leib binden sollte. Den Rest wickelte er sorgfältig wieder auf und steckte ihn in den Rucksack. Außer dem Seil behielt er nur die Überbleibsel ihrer Wegzehrung und die Wasserflasche, und Stich hing noch an seinem Gürtel; in der Brusttasche versteckt hatte er die Phiole von Galadriel und die kleine Schachtel, die sie ihm geschenkt hatte.
Nun endlich richteten sie den Blick auf den Berg und brachen auf, und sie dachten nicht mehr daran, sich zu verbergen, sondern beschränkten sich bei ihrer Müdigkeit und der nachlassenden Willenskraft allein darauf weiterzugehen. In der Düsternis dieses trostlosen Tages hätten selbst in diesem Land der Wachsamkeit wenige Geschöpfe sie erspähen können, es sei denn ganz aus der Nähe. Von allen Sklaven des Dunklen Herrschers hätten ihn nur die Nazgûl vor der Gefahr warnen können, die schwach, aber unbezwingbar mitten ins Herz seines bewachten Reiches kroch. Doch die Nazgûl und ihre schwarzen, geflügelten Wesen waren mit einem anderen Auftrag unterwegs: Weit entfernt waren sie zusammengezogen worden, um den Marsch der Heerführer des Westens zu beschatten; dorthin waren auch die Gedanken des Dunklen Turms gerichtet.
An jenem Tag schien es Sam, dass sein Herr neue Kraft geschöpft hatte, mehr als sich durch die kleine Erleichterung der Last, die er zu tragen hatte, erklären ließ. Bei den ersten Märschen kamen sie schneller und weiter als erhofft voran. Das Land war uneben und feindselig, und dennoch machten sie Fortschritte, und der Berg kam immer näher. Doch als der Tag verging und das düstere Licht allmählich verblasste, ging Frodo wieder gebückt und begann zu taumeln, als ob die neuerliche Anstrengung seine ihm verbliebene Kraft aufgezehrt hätte.
Bei ihrer letzten Rast sank er zu Boden und sagte: »Ich habe Durst, Sam«, und dann sprach er nicht mehr. Sam gab ihm einen Schluck Wasser; nur noch ein einziger Schluck war übrig. Er selbst trank nicht; und als sich jetzt die Nacht von Mordor wieder auf sie senkte, waren alle seine Gedanken durchdrungen von der Erinnerung an Wasser; und alle Bäche, Flüsse oder Quellen, die er je gesehen hatte, im Schatten grüner Weiden oder in der Sonne glitzernd, tanzten und rieselten zu seiner Qual hinter seinen geschlossenen, blinden Augen. Er spürte den kühlen Schlamm an seinen Zehen, als er mit Jupp Hüttinger und Tom und Sepp und ihrer Schwester Rosie im See bei Wasserau plantschte. »Aber das war vor Jahren«, seufzte er, »und weit weg. Der Rückweg, wenn es einen gibt, führt an dem Berg vorbei.«
Er konnte nicht schlafen und focht einen Wortstreit mit sich selbst aus.»Ach, hör schon auf, wir haben es besser gemacht, als du erwartet hattest«, sagte er standhaft. »Jedenfalls haben wir gut angefangen. Ich schätze, wir haben die halbe Entfernung zurückgelegt, ehe wir anhielten. Noch ein Tag wird reichen.« Und dann stockte er.
»Sei kein Narr, Sam Gamdschie«, kam die Antwort mit seiner eigenen Stimme. »Er wird nicht noch einen Tag so gehen, wenn er sich überhaupt fortbewegt. Und du kannst auch nicht viel weiter gehen, wenn du ihm alles Wasser und das meiste Essen gibst.«
»Ich kann noch ein gutes Stück gehen, und das werde ich auch.«
»Wohin?«
»Zu dem Berg natürlich.«
»Aber was dann, Sam Gamdschie, was dann?
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