Der Herr der Tränen
wieder ein normales Spiegelbild.
»Ich danke dir, dass du mich auf diesen Spiegel aufmerksam gemacht hast, Threver. Auch wenn seine Ergebnisse stark auf Zufall beruhen, wird er uns vielleicht doch wichtige Informationen liefern. Finde einen anderen Fadenwirker, der über den Spiegel wacht, und berichte mir alles, was von Interesse ist.«
»Das werde ich tun, Herr.«
»Und nun«, sagte Forger, »wird es wohl höchste Zeit, dass ich unser Heer inspiziere.«
HAND IN HAND
»Hol eine Axt«, befahl ein Soldat. Einen Moment später sprang er zurück, als die bis dahin unbeweglichen Türen der Speisehalle aufflogen. Dahinter stand die Priesterin Yalenna; sie wirkte verärgert.
»Ja?«, fragte sie.
»Ähm …« Sein Blick wanderte an ihr vorbei zu einem Tisch, der zerbrochen auf der Seite lag. »Ist im Speisesaal unsere Hilfe vonnöten, Herrin?«
»Nein, das ist sie nicht«, antwortete Yalenna mit einem gepressten Lächeln. »Der König und ich brauchen den Saal lediglich für eine Weile.«
»Ah … nun, sehr wohl, Herrin. Wir werden … euch dann allein lassen.«
»Danke«, sagte sie und schloss die Tür.
Sie ging dorthin zurück, wo Braston und Karrak einander an einem unversehrten Tisch gegenübersaßen und sich unversöhnlich anstarrten. Obwohl sie sich den Soldaten an der Tür relativ ruhig präsentiert hatte, schwirrte ihr der Kopf noch immer. Es war schwer zu fassen, dass Karrak während der ganzen Zeit, in der sie tot gewesen war, gelebt hatte.
»Also, dreihundert Jahre«, sagte Karrak. »Und, wo ist mein großes Reich?«, hakte er in scharfem Ton nach und pochte mit dem Finger auf den Tisch. »Seht ihr, wie ich während eurer Abwesenheit die Welt zerquetscht habe, wie ich es hätte tun können, und das zehnmal?«
Yalenna schob sich neben Braston.
»Nein«, sprach Karrak weiter. »Obwohl es leicht gewesen wäre, ohne irgendwelche anderen Wächter, die sich mir hätten widersetzen können. Ich hätte Amok laufen können, aber stattdessen habe ich ein friedliches Leben geführt – natürlich bevor ihr alle entschieden habt zurückzukommen.«
»Wir haben nichts entschieden«, knurrte Braston.
»Die Große Magie hat uns zurückgebracht«, warf Yalenna ein. »Unsere Fäden sind nach unserem Tod nicht in sie zurückgekehrt. Deshalb hat sich der Verfall fortgesetzt.«
»Wie kannst du das wissen?«, sagte Braston und drehte sich zornig zu ihr um. »Es könnte auch sein, dass der Schaden fortdauert, weil Karrak nie gestorben ist! Seine Anwesenheit in Aorn hat einen Zustand fortgesetzter Fäulnis herbeigeführt.«
»Ich habe dir gesagt, du sollst mich nicht so nennen. Karrak ist fort. Mein Name ist Rostigan.«
»So leicht kannst du deiner Vergangenheit nicht entkommen.«
Rostigan schlug heftig auf den Tisch. »Jetzt hört mir zu, ihr beiden Kinder. Seit ich auf mein Reich verzichtet habe, habe ich meine Macht fest versiegelt gehalten und mir geschworen, sie niemals zu benutzen. Und nicht ein einziges Mal während dieser Zeit ist der Himmel schwarz geworden oder hat die Erde gebebt, und es sind auch keine Käfer wie Hagel zu Boden gefallen. Doch ihr beide habt mit eurer Magie geprotzt, und das von dem Moment an, als ihr erwacht seid, verwegen und hemmungslos. Deine Segnungen sind wie eine Giftwolke, Yalenna. Und du, Braston, der du an den Fäden der Gerechtigkeit ziehst, wie du sie nennst, hältst es für nötig, die natürliche Ordnung zu verändern, indem du ihr deinen Willen aufzwingst, das, was du für richtig hältst. Ihr wagt es, mir einen Vorwurf zu machen, ihr wagt es, euch für höher zu erachten, für besser?
Ihr stiftet genauso viel Schaden wie Forger, wie Despirrow. Selbst die Entflochtenen haben in all den Jahrhunderten, die sie schon existieren, keine schlimmere Wirkung auf die Welt gehabt, als ihr sie binnen Tagen herbeigeführt habt. Nur einmal«, er wusste, dass er log, aber das kümmerte ihn nicht, »habe ich meine Gabe benutzt – um die Krähen herzurufen, um deine Stadt zu retten, Braston, als Gegenleistung für nicht mehr als einige tote Augen. Und wie dankst du mir das? Indem du mich ohne Sinn und Verstand niederschlägst, mich bezichtigst, die Wurzel allen Übels zu sein, du, ein Tölpel, dem sowohl der Verstand als auch die Geduld fehlt, um die Dinge zu begreifen. Denkst du, wenn ich dir schaden wollte, würde ich hier sitzen und unter deinem Dach warten, ohne Verbündete, bereit, deine Schläge hinzunehmen? Würde ich nicht mit Forger auf und davon gegangen sein, um deinen Sturz zu
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