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Der Herr der Tränen

Der Herr der Tränen

Titel: Der Herr der Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Bowring
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trat hinter den Burschen, um ihm die Armbrust abzunehmen. Der Mann konnte sich zwar nicht von der Stelle rühren, aber immer noch die Arme bewegen, und er versuchte, Despirrow zu packen.
    »Aber doch nicht so«, sagte Despirrow, und mit einem Fingerschnippen riss er dem Mann die Kehle auf. Das Blut schoss in hohem Bogen über die Durchgangsstraße und besudelte einige Passanten.
    »Mord!«, rief jemand, und ein hektisches Gerenne setzte ein.
    Auf der anderen Straßenseite kam Karrak mit gezücktem Schwert aus einer Tür gesprungen und sah sich wild nach der Quelle des Aufruhrs um. Despirrow lächelte und wartete darauf, dass sein ehemaliger Verbündeter ihn bemerkte, während er sich die weichen Pflastersteine von den Fersen wischte.
    Rostigan sah zuerst den noch stehenden Leichnam, daneben einen Mann unter der umschatteten Traufe eines Hurenhauses, und er erkannte die grausamen, eckigen Züge und eingefallenen Wangen von Despirrow. Der Wächter grinste ihn an und streckte die Hand aus, und Rostigan machte sich bereit, jeden Zauber zu entfädeln, der ihm entgegengeschleudert wurde. Aber Despirrow griff nicht ihn an, sondern wie zufällig ausgewählte Städter. Ein Kaufmann stürzte zu Boden, Blut spritzte ihm aus den Ohren, und sein Kopf war eingedellt wie von einem Hammerschlag. Tiefer in der Menge – weit genug entfernt, um die Angriffe willkürlich erscheinen zu lassen, um alle zu verwirren – prallten zwei Frauen plötzlich gegeneinander, als würden sie von einem unsichtbaren Schraubstock zusammengepresst. Schreie ertönten, und die ersten Schaulustigen flüchteten.
    Rostigan stürmte auf Despirrow zu, wurde aber von der verängstigten Menge aufgehalten. Er duckte sich und schlängelte sich durch, so gut er konnte, setzte wenn nötig die Ellbogen ein. Dann herrschte plötzlich Stille; alle Menschen waren erstarrt. Ein Mann, der aus dem Weg gegangen wäre, wenn die Zeit ihren natürlichen Verlauf genommen hätte, blieb stattdessen, wo er war, und Rostigan stieß gegen ihn. Der Aufprall war hart und schmerzhaft, so als habe sich ihm plötzlich ein Baum in den Weg gestellt. Despirrow lachte, als Rostigan rückwärts taumelte, und die Zeit setzte wieder ein. Da Rostigan seinerseits jetzt unerwartet anderen im Weg stand, wurde er selbst mehrfach gerammt und zu Boden geworfen.
    Die Zeit wurde wieder angehalten, und er öffnete die Augen. Despirrow schlenderte durch das Meer von Statuen, hob die Armbrust und zielte auf Rostigan, sobald niemand anders mehr in der Schusslinie war. Rostigan hob instinktiv eine Hand, aber das Fadenwirken war in der Welt angehaltener Zeit nicht möglich. Der Bolzen zischte durch die Luft und blieb in Rostigans Hand stecken.
    »Despirrow!«, erklang eine Stimme von oben. Es war Yalenna, die an einem Fenster im ersten Stock des Hurenhauses stand. Von irgendwo anders in der stillen Stadt erklang ein zorniges Brüllen.
    »Ah«, sagte Despirrow. »Der gute alte Braston ist also auch hier?«
    Er schoss einen Bolzen in Yalennas Richtung. Sie duckte sich außer Sicht, und der Bolzen prallte vom Glas ab, das er hätte zerschmettern sollen.
    Dann rannte Despirrow davon, und Rostigan bemühte sich, wieder hochzukommen. Die Zeit setzte erneut ein, und abermals schloss sich die Menge um Rostigan und trampelte auf ihm herum. Ein Stiefel drückte sich ihm in die Brust, und dessen Besitzer stolperte und stürzte ebenfalls.
    »Bleibt weg von mir!«, schnaufte Rostigan, so laut er konnte, und flocht Fäden in seine Worte. Die Menge wich vor ihm zurück, sodass er eine Insel im Chaos bildete. Dann wurde sein Arm mit festem Griff gepackt, und jemand zog ihn hoch.
    »Wohin ist er gegangen?«
    Es war Braston. Er schüttelte Rostigan mit wildem Blick, obwohl er wahrscheinlich nicht vorgehabt hatte, es so heftig zu tun.
    »Verdammt, Karrak, wohin?«
    Rostigan streckte seine durchbohrte Hand aus, in der noch immer der tropfende Bolzen steckte.
    »Dahin.«
    Braston ließ ihn so plötzlich los, dass er schwankte, und verschwand in die Richtung, die Rostigan ihm gewiesen hatte.
    Rostigan fasste sich, ergriff den Bolzen und zog ihn mit einem Ächzen heraus.
    Yalenna erschien. »Bist du in Ordnung?«
    »Mir geht es gut.«
    Er setzte sich in Bewegung, hinter Braston her, und fragte sich, ob er schon wieder in der Lage war zu rennen.
    »Komm schon – er entwischt uns!«
    Die Menge wurde lichter, weil viele Menschen Deckung suchten, und Despirrow bog in eine verlassene Nebenstraße ein, die gesäumt war von schon

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