Der Herr der Tränen
Höhleneingang klaffte. Neugierig ging Rostigan hinein, um sich umzuschauen – er erinnerte sich nicht daran, den Eingang schon einmal gesehen zu haben. Die Höhle war nicht sehr groß oder tief, und Rostigan dachte, dass sie wohl von Menschenhand geschaffen worden war. Was hatte jemand in diesem Hügel zu finden gehofft?
»Komm weiter«, sagte Braston ungeduldig.
Hinter der Biegung führte der Weg zur Stadt hinab. Saphura war ein hübscher Ort, seine glänzenden, blauen Gebäude und die weiß gepflasterten Straßen umgeben von Wald und Fluss, so nah, dass Stadt und Natur beinahe miteinander verschmolzen.
Tarzi mochte diese Stadt, erinnerte er sich. Sie waren einmal gemeinsam in Saphura gewesen und hatten mehrere Tage dort verbracht, ohne viel zu tun. Er wünschte, sie wäre jetzt hier, sie könnten zusammen zum Flussufer hinuntergehen, wo er seine Pfeife rauchen und ihr beim Fischen zusehen würde, um am Ende im Schatten zu schnarchen. Das stetige Geräusch fließenden Wassers machte ihn auch jetzt schläfrig.
Die Stadt selbst dagegen war ziemlich laut. In den Straßen herrschte reger Betrieb, und am Hafen ging es ebenfalls lebhaft zu. Sie näherten sich der Stadt aus der weniger bereisten Richtung; auf der gegenüberliegenden Seite schlängelte sich eine breitere Straße um die Hügel, um auf gewundenen Wegen mehr oder weniger dem Flusslauf zu folgen.
Sie gingen den Hang hinunter und erreichten die Stadt. Obwohl die Wächter bescheiden gewandet waren – die beiden anderen hatten Priesterinnenrobe und königliche Hoftracht gegen alltäglichere Kleidung getauscht –, zogen sie noch immer etliche Blicke auf sich. Es lag wohl nicht daran, dass sie Fremde waren, denn Saphuras Fischhandel und dekadenter Ruf brachte Besucher von nah und fern in die Stadt. Vielleicht waren sie zu dritt – er grimmig mit dem großen, auf dem Rücken getragenen Breitschwert, sie schön und sanft und selbstbewusst, und Braston ein Berg von Muskeln – einfach eine zu auffällige Gruppe. Der Gedanke wärmte ihn nicht, denn sie wollten nicht, dass Despirrow sie als Erster bemerkte. Er beschleunigte seinen Schritt und fasste Braston am Arm. Braston, der den Blick über die Straße hatten schweifen lassen, fuhr herum, angespannter, als Rostigan erwartet hatte.
»Hast du ihn entdeckt?«, fragte Braston eindringlich.
»Er wird uns entdecken, wenn wir weiter so über die Hauptstraße stürmen.«
»Wir sollten uns aufteilen«, schlug Yalenna vor. »Dann kann er uns nicht so leicht aus dem Weg gehen.«
Braston nickte grimmig.
Sie wandten sich voneinander ab, um getrennter Wege zu gehen.
Während sie durch die Menge schlüpfte, hoffte Yalenna, dass Salarkis sie nicht dazu überlistet hatte hierherzu-
kommen – dass sie Braston und Ka… Rostigan nicht auf eine falsche Fährte geführt hatte oder in eine Falle.
Aber ich vertraue ihm, sagte sie sich, und wenn auch nur deshalb, weil ich es mir wünsche.
In Ermangelung einer Methode, um Despirrow mit Sicherheit auszumachen, hielt sie es für das Beste, zunächst einmal die Bordelle zu überprüfen. Im Gegensatz zu manchen Städten waren Saphuras Bordelle nicht in irgendeinen schlecht beleumundeten Bezirk verbannt. Hier waren sie Teil von Tavernen oder standen stolz zwischen anderen Geschäftshäusern. Ihre Namen stellten sie auf Schildern zur Schau, in die vielsagende Silhouetten eingeschnitzt waren. Es gab mehr Bordelle, als sie in Erinnerung hatte, und sie fragte sich, wie die einheimischen Fischer es vermieden, ihren Töchtern über den Weg zu laufen … aber andererseits waren die Töchter eher andernorts ihren Familien entlaufen, um hierherzukommen. Und auch Söhne, dachte sie, während sie zwei muskulöse Jungen beäugte, die ein paar ältere, über und über mit
Juwelen behängte Frauen begleiteten.
Auf der anderen Seite der Straße sah sie Rostigan durch eine Schwingtür in eine Welt des Plüsch eintreten. Flüchtig erhaschte sie einen Blick auf spärlich bekleidete Mädchen auf Tischen, um die Männer saßen, die aus Silberbechern tranken. Luxuriös, aber nicht luxuriös genug – und im gleichen Augenblick wusste sie, was zu tun war. Sie musste das beste und teuerste Bordell aufspüren, das es gab.
Sie blieb an einem Straßenstand stehen, wo getrocknete Fische an Seilen über Schalen mit glänzenden Beeren hingen. Sie sahen gut aus, aber vielleicht auch nicht besser als die in dem halben Dutzend gleichartiger Läden in Sichtweite. Der Ladenbesitzer, der unter seinen frisch
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