Der Herr der Tränen

ein.
    In die Luft mit dir.
    Die Krähe gehorchte und erhob sich von dem Dach eines nahen Hauses. Durch ihre Augen sah er die Stadt von oben, sah Menschen, die herumliefen und herauszufinden versuchten, was geschehen war. Wachen inspizierten die Leichen auf der Hauptstraße, andere brachen zu einer Patrouille auf. Dann entdeckte er eine Gestalt mit einem flatternden blauen Hemd, die durch die Gassen am Stadtrand rannte.
    »Er läuft auf die südliche Straße zu«, berichtete er Yalenna.
    »Halt!«
    Zwei Fadenwirker vertraten ihnen den Weg.
    »Lasst uns in Ruhe!«, befahl Rostigan, und sie nickten zustimmend und wandten sich ab.
    Er glaubte schon, wegen dieser Störung die Krähe verloren zu haben, aber einen Moment später fand er sie wieder. Sie kreiste immer noch am Himmel. Despirrow eilte den Hügel hinauf, und hinter ihm sah Rostigan sich selbst und Yalenna von oben, wie sie ihm durch den Randbezirk der Stadt folgten. Als sie die letzten Häuser hinter sich ließen und den Hügel erreichten, verlor Rostigan die Verbindung zu seinem widerstrebenden Lakaien. Ein Blick nach oben – mit seinen eigenen Augen – zeigte ihm einen fernen schwarzen Punkt, der abwärtskreiselte und dabei Federn verlor. Sein Spion, so schien es, war entdeckt worden. In der Zwischenzeit verschwand Despirrow hinter dem Hügel.
    Rostigan ächzte in einer gewissen Vorahnung.
    »Was«, keuchte Yalenna.
    »Wir werden sehen.«
    Sie gingen den Hügel hinauf und erreichten nach der Biegung des Weges den steinigen Bereich vor dem Höhleneingang. Einige vage Schrammen auf dem Pfad wiesen zur Brücke. »Sieht so aus, als hätte er versucht, seine Spuren zu verwischen«, meinte Yalenna.
    »Oder er will, dass wir genau das denken«, entgegnete Rostigan leise. »Uns in den Wald führen, wo wir stundenlang fruchtlos suchen könnten.«
    Er konnte die Höhle über seiner Schulter spüren, als wache sie über ihn. Ein offensichtliches Versteck, zu offensichtlich, als dass Despirrow sich darauf verlassen würde. Es sei denn, er glaubte wirklich, dass sie auf sein Täuschungsmanöver hereinfielen. Oder es konnte eine Falle sein – Despirrow konnte dort im Dunkeln lauern und auf sie warten, damit er die Zeit anhalten und sich ihnen mit seiner Armbrust nähern konnte.
    Rostigan wirbelte herum und griff nach dem überhängenden Sturz des Höhleneingangs. Er riss ihn herunter, und eine Kaskade von Felsen und Wurzeln blockierte den Eingang.
    »Du denkst, er ist da drin?«, zweifelte Yalenna.
    »Könnte sein. Wir werden mehr wissen, wenn wir das Dach einstürzen lassen.«
    Sie wichen dem Geröll des Einsturzes aus und stiegen auf den oben flachen Gipfel des Hügels.
    »Bleib hier am Rand stehen«, wies Rostigan sie an. »Hier oben sollte uns wohl nichts passieren.«
    »Wenn er in der Höhle ist, wird er einfach die Zeit anhalten.«
    »Ja, aber was soll er dann als Nächstes tun?«
    Yalenna zuckte die Achseln. »Also gut.«
    Gemeinsam ertasteten sie die Struktur der Höhlendecke, suchten Schlüsselsteine und Stellen, wo die Erde verdichtet war.
    »Wir müssen es ganz plötzlich tun, mit vereinten Kräften«, erklärte Rostigan ihr.
    Sie nickte und verkrampfte sich.
    »Jetzt.«
    Sie rissen an den tragenden Strukturen, lösten Erdreich, das größere Steinbrocken hielt. Zur Antwort erzitterte die Kuppe und begann zur Mitte hin einzustürzen.
    Die Zeit wurde angehalten.
    Es war ein interessanter Anblick. Vor dem festen Grund, der von der Kuppe verblieben war und auf dem sie standen, hatte sich der Rest der Kuppe gesenkt und schwebte auf halber Höhe. Licht schien durch Löcher in das Innere der Höhle, wo Felsen in verschiedener Höhe in der Luft hingen.
    »Runter«, warnte Rostigan. »Er kann uns vielleicht anvisieren.«
    »Bist du da drin, Kerl?«, rief Yalenna.
    Ein Bolzen zischte aus der Dunkelheit und bohrte sich in ihre Schulter. Rostigan riss sie mit sich herunter, damit sie nicht rückwärts ins Leere trat. Sobald sie das Gleichgewicht wiederfanden, betrachtete Yalenna mit tränenden Augen ihre Verletzung und stöhnte.
    »Bei der Großen Magie!«, knurrte sie. »Wenn ich dich in die Finger bekomme, Despirrow …«
    »Immer mit der Ruhe«, sagte Rostigan.
    »Ich bin ruhig«, antwortete sie gereizt.
    Irgendwo unter ihnen kicherte Despirrow.
    »Ich weiß nicht, worüber du so glücklich bist«, rief Rostigan. »Was wirst du jetzt tun? Du kannst die Zeit nicht wieder in Gang bringen, ohne zerquetscht zu werden, und wenn du die Treppe aus fallenden Trümmern