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Der Herr der Tränen

Der Herr der Tränen

Titel: Der Herr der Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Bowring
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Rasiermessers. Braston pflügte sich mit hoher Geschwindigkeit in den ganzen Schwarm hinein. Sie durchschlugen oder durchschnitten ihn, so wie sie ihn trafen, und sein Fleisch bot nicht mehr Widerstand als warmes Gelee. Ein Blatt ging durch seinen Arm und trennte ihn halb ab, während ein anderes ihn am Hals erwischte und kaum Einfluss auf seinen Schwung hatte, als es Muskeln und Arterien mit gleicher Mühelosigkeit durchschnitt. Er versuchte stehen zu bleiben, hatte aber nur wenig Kontrolle, da seine Beine unter ihm zerfetzt wurden. Ein Blatt kratzte an seinem Schienbein entlang und schälte Knochen ab wie geringelte Apfelschale. Er fiel auf weitere Blätter und glitt nach unten. Eine helle Qual erblühte, als ein Blatt seine Eingeweide durchdrang. Kurz bevor es sein Rückgrat erreichte, war der Schwung von Brastons Bewegung aufgebraucht. Er verharrte reglos, ohne den Boden zu berühren, in der Schwebe gehalten von den erstarrten Blättern unter ihm.
    Sein Zorn ließ nach, als würde er mit seinem Blut aus ihm hervorquellen. Die Blätter, die in seinem Körper steckten, zerrissen ihn weiter, wann immer er auch nur erbebte. Er müsste all seine Bewegungen der letzten Sekunden in umgekehrter Richtung wiederholen, wenn er sie loswerden wollte. Aber in seinem Zustand – so viele Nerven und Muskeln zerstört, so viel Fleisch, das lose an ihm herabhing – war er dazu nicht in der Lage.
    Yalenna blieb mit aschfahlem Gesicht am Rand der Blätterwolke stehen.
    »Vorsicht!«, sagte Rostigan, als er neben ihr erschien.
    Braston hing zusammengekrümmt in der Luft, zerrissen und zerfetzt, und es hatte sich bereits eine große Blutlache unter ihm gebildet. Währenddessen bog Despirrow um eine Ecke und verschwand.
    Behutsam suchte sich Yalenna ihren Weg in den Blätterwirbel hinein. Bald musste sie auf allen vieren durch warmes Blut kriechen, um zu Braston vorzudringen. Ein Ächzen hinten sagte ihr, dass Rostigan ihr gefolgt war, aber sie beachtete ihn nicht – all ihre Gedanken galten Braston.
    Lebt er? Bitte, mach, dass er lebt.
    Tränen drohten ihr übers Gesicht zu strömen, und sie blinzelte heftig und zwang sie fort. Er musste am Leben sein, sagte sie sich, obwohl er bestenfalls schrecklich, schrecklich verletzt sein würde. Aus der Nähe waren seine Wunden noch schockierender. Sie kroch unter ihn, um zu sehen, ob er die Augen öffnen würde.
    »Braston?«
    Er tat es, und sein Blick wanderte zu ihrem.
    »Hol …«
    Als er zu sprechen versuchte, quoll ihm Blut aus dem Mund und erstickte seine Worte.
    Plötzlich setzte barmherzigerweise die Zeit wieder ein. Braston kippte vorwärts, als die Blätter, die ihn stützten, wieder beweglich wurden und nachgaben. Yalenna wich knapp seinem Körper aus, als er mit einem dumpfen Aufprall zu Boden fiel und auf die Seite rollte.
    »Despirrow ist noch nicht weit gekommen«, bemerkte Rostigan grimmig.
    Yalenna scherte sich nicht darum. Braston brauchte Hilfe.
    Sein Gesicht war von Schmerz verzerrt. Er bewegte die Zunge und versuchte, den Mund freizubekommen.
    »Lasst … ihn nicht entkommen.«
    »Aber du …«
    »Lasst mich zurück! Ich werde … leben.« Er klang so, als versuchte er, sich selbst davon zu überzeugen. »Wir werden vielleicht … diese Chance nicht noch einmal bekommen.«
    »Braston …«
    »Geht!« Die Anstrengung des Sprechens ließ ihn zusammenzucken. »Bitte!«
    »Komm«, murmelte Rostigan und zog sie auf die Füße. Der Wind hatte sich gelegt, und überall um sie herum landeten Blätter in der scharlachroten Blutlache. »Wir müssen tun, was er sagt.«
    Yalenna riss den Blick von Braston los.
    »Wir werden zu ihm zurückkehren«, versprach Rostigan. »Jetzt komm, Yalenna … komm.«
    Er brachte sie dazu, sich in Bewegung zu setzen, und sie durchkämmten die Straße, in der er Despirrow hatte verschwinden sehen.
    Findet einen rennenden Mann, sagte er seinen Krähen, und mehrere dunkle Gestalten in der Nähe regten sich. Sie hatten es jedoch nicht eilig, seinem Ruf zu folgen, spreizten das Gefieder, ließen sich dann wieder nieder und versuchten, ihn zu ignorieren.
    Findet ihn!
    Die Krähen blieben zögerlich, und er spürte, dass sie schlecht auf ihn zu sprechen waren. Sie nahmen Anstoß daran, dass nach der letzten Aufgabe, die er ihnen gestellt hatte, die Überlebenden sich nicht einmal richtig hatten satt essen dürfen für ihre Mühen.
    Er hatte keine Zeit für ihr Widerstreben. Also konzentrierte er sich auf ein junges Männchen und drang in das Vogelgehirn

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