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Der Herr der Tränen

Der Herr der Tränen

Titel: Der Herr der Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Bowring
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hatte er den Mut nicht aufgebracht. Er war ihr wegen dessen, wozu sie ihn überredet hatte, eigentlich nicht böse – ihre Argumente hatten damals Sinn gemacht und hoffen lassen, dass die Welt wieder in Ordnung kam. Gewiss waren sie zumindest aus guten Absichten geboren worden. Und ihr jüngster Ärger über seine Thronbesteigung hatte ihn durchaus nachdenklich gemacht – vielleicht war er zu voreilig gewesen und hätte der Versuchung widerstehen sollen –, doch hatte er im Lichte dessen, was zuvor gewesen war, eine gewisse Abneigung gegen ihre Ideen entwickelt, selbst wenn er vermutete, dass sie recht haben könnte. Er war entschlossen, ihr diesmal nicht ohne Weiteres zu folgen und nach seinem eigenen Ratschluss zu verfahren, auch wenn er unglücklicherweise dazu neigte, über nichts allzu gründlich nachzudenken. Morgen, hatte er sich jeden Abend gesagt, ich werde morgen zu ihr gehen. Aber morgen, so schien es, war es einmal zu oft geworden. Er war beschämt und wahrscheinlich zu Recht, dass er sie so lange hatte warten lassen.
    Sie trat mit schwer deutbarer Miene vor den Thron – vorsätzlich sanft vielleicht, niemals ein gutes Zeichen. Sie hatte ihre Priesterinnenrobe gegen Bluse und Hose getauscht und sich das schneeweiße Haar zu einem langen Zopf zurückgebunden. Beides entging Braston nicht. Sie sah reisefertig aus. Hatte er sie so vor den Kopf gestoßen, dass sie beschlossen hatte fortzugehen? Der Gedanke stürzte ihn für einen Moment in Panik, und er beschloss an Ort und Stelle, ihr zu verzeihen, was auch immer er ihr verzeihen musste. Es machte das Leben leichter, von seinem Groll abzulassen, und obwohl Braston nicht an der Illusion litt, dass die Dinge jemals einfach sein könnten, bevorzugte er sie zumindest schlicht.
    »König Braston«, begrüßte Yalenna ihn.
    Ihre Förmlichkeit machte ihm schlagartig klar, dass er keineswegs wünschte, ihr Gespräch während einer öffentlichen Audienz auf irgendwelche belanglosen Nettigkeiten beschränken zu lassen. Er stieg die Stufen des Podestes hinab, streckte eine Hand aus zum Zeichen, dass sie ihn begleiten solle, und führte sie um den Thron herum ins Licht der hohen Fenster, wohin ihnen aus Respekt vor seiner Person und seinem Amt das Publikum nicht folgen würde.
    »Es tut mir leid«, sagte er sofort. »Es ist unverzeihlich. Ich hätte zu dir kommen sollen. Es ist nur so …«
    Du willst über die Große Magie reden, dachte er. Du willst Theorien aufstellen und darüber nachgrübeln, was wir tun sollten, und du wirst mich tadeln, und ich wünsche mir nichts von alledem. Ich bin nicht besser als ein Kind.
    »Ich weiß«, antwortete sie und berührte ihn am Unterarm. Ihr Ton war ohne die Säure, die er erwartet hatte.
    »Wirklich?«
    »Natürlich. Ich mache dir keinen Vorwurf daraus, dass du mich nicht sehen wolltest. Wenn ich überhaupt jemandem einen Vorwurf mache, dann mir selbst.«
    Alte Gewohnheiten, alte Rollen verlangten plötzlich wieder ihr Recht. Er musste sie beschützen. Was spielte es da noch für eine Rolle, was er glaubte. Es war viel wichtiger, dass sie nicht im Streit miteinander lagen, denn darauf kam es an.
    Vielleicht war es das, wofür er Zeit gebraucht hatte.
    »Es ist nicht deine Schuld«, stellte er fest.
    Yalenna lachte bitter.
    »Ich meine es ernst«, bekräftigte er. »Du hast nur versucht, die Dinge in Ordnung zu bringen.«
    »Ja«, sagte sie, verschränkte die Arme vor der Brust und blickte zum Fenster hinaus. »Ich habe es versucht.«
    »Nun, es hat in gewisser Weise funktioniert. Nicht wahr? Ohne uns hat die Verderbnis auf der Welt allen Berichten zufolge größtenteils aufgehört.«
    »Warum hat die Große Magie uns dann zurückgebracht?«
    Braston zuckte die Achseln, obwohl er an die Wunde über dem Turm dachte.
    »Wie dem auch sei«, fuhr Yalenna fort, »ich bin nicht hergekommen, um dir irgendwelche Mutmaßungen aufzuzwingen.«
    »Nein?«
    »Es gibt etwas Dringenderes.«
    »Und das wäre?«
    Sie blinzelte, und Braston erkannte jäh, dass sie versuchte, Tränen zurückzuhalten.
    »Yalenna? Was ist los?«
    Sie tupfte sich einen Augenwinkel ab und schniefte. »Es geht um Mergan«, antwortete sie.

DIE MUSTERUNG
    Jeder Schritt auf die Mauern von Althala zu erschien ihm schwerer, kam ihm bedeutsamer vor. Rostigan konnte immer noch nicht ganz glauben, dass er sich der Stadt aus freien Stücken näherte. Die Ereignisse schienen ihn in ihrem natürlichen Lauf mitgerissen zu haben – der gute Krieger würde gewiss den Ruf

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