Der Herr der Unruhe
August 1977 entkam er allerdings seinen Bew a chern unter eigenartigen Umständen. Wegen gesundheitl i cher Probleme war er zuvor in ein Militärhospital eingeli e fert worden. Um die »Flucht« spönnen sich bald Legenden. Niemand anderer als sein alter Kamerad Karl Hass habe bei der Planung mitgewirkt, wollten Insider wissen. Angeblich sei der vierundachtzigjährige Kappler drei Meter tief aus dem Fenster gesprungen, sagten andere. Einige Kenner ve r treten die Auffassung, italienische und deutsche Gehei m dienste hätten dem Alt-Nazi die »Flucht« ermöglicht. Bei seiner Ankunft in der Bundesrepublik Deutschland wurde er jedenfalls von seinen Anhängern mit frenetischem Be i fall begrüßt. Unbehelligt verlebte er mit seiner Familie noch ein ganzes Jahr, ehe er starb.
Die vom Tausendjährigen Reich und vom wiederaufl e benden Römischen Imperium träumenden Visionäre aus Deutschland und Italien fanden ein schmähliches Ende. Adolf Hitler soll am 30. April 1945 eigenhändig aus dem Leben geschieden sein – was, wie wir ja inzwischen wissen, ganz auf der Linie der suizidalen Tradition Österreichs liegt. Bereits zwei Tage vor ihm war Benito Mussolini von der Bühne abgetreten. Die kniffligen Details überließ er lieber anderen. Ungefähr ein Jahr später erreichte Nico ein Brief von Bruno Sacchi, in dem das Blutgericht mit durc h aus melancholischen Worten beschrieben wurde.
Lieber Nico!
Bitte verbrenne meinen Brief nicht, bevor du ihn gelesen hast. Alles tut mir so Leid! Du hattest Recht. Ich war eife r süchtig auf dich, weil Laura nicht mich, sondern dich lie b te. Außerdem war ich vernagelt. Heute ist mir das klar. Ich dachte, wer nicht mit der Resistenza ist, der muss auf der Seite der Deutschen stehen. Deshalb hatte ich dich verr a ten. Inzwischen habe ich viel erlebt und schmerzvoll erfa h ren müssen, dass es außer Weiß und Schwarz noch richtige Farben gibt.
Du fragst dich bestimmt, was aus mir geworden ist. Als Führer einer Widerstandsgruppe hatte ich versagt. Die ehemaligen Genossen im Latium betrachteten mich mit demselben Argwohn wie ich zuvor dich. Deshalb ging ich aus unserer Heimat fort. Nach einer Odyssee, die zu b e schreiben hier zu weit gehen würde, hatte ich mich einer Partisanengruppe in Norditalien artgeschlossen. Ende A p ril letzten Jahres hörten wir, dass unserem alten »Freund«, dem Duce, mit seiner Flamme Clara Petacci die Flucht in die Schweiz gelungen war. Wir haben sie kurz hinter der Grenze trotzdem geschnappt und in Giulino di Mezzegra eingesperrt. Einige von uns wollten Benito den Prozess machen, aber andere empfanden nur Hass für ihn und fürchteten, er könnte sich irgendwie um seine Bestrafung herumdrücken. Da haben wir den Duce und Clara erscho s sen. Ihre Leichen brachten wir nach Mailand und hängten sie kopfunter zur Schau an einem Gerüst auf der Piazza Loretto auf. Ein jämmerliches Ende, wenn man bedenkt, dass er einmal im Augustus-Mausoleum beigesetzt werden wollte.
Lange habe ich geglaubt, mich nach einem solchen »E r folg« wie ein Held fühlen zu können – und viele halten uns bis heute für solche –, aber eher das Gegenteil ist der Fall. Jetzt kann ich verstehen, Nico, warum du der Rache abg e schworen hattest. Nachdem der Blutdurst abgeklungen ist, fühlt man sich hohl und leer. Die Vendetta ist nicht der Weg von Gerechtigkeit und Freiheit, das ist mir heute klar.
Mir kam zu Ohren, dass Don Massimiliano auch den Lohn für seine Niedertracht bekommen hat. Hoffentlich fühlst du dich jetzt besser als ich. Hast du Laura gefunden? Wenn ja – und das ist kein Scherz –, wünsche ich euch alles Glück der Welt. Solltet ihr mal nach Giulino di Mezzegra kommen, dann schau doch einfach bei mir herein. Ich habe an dir viel gutzumachen.
In Freundschaft,
Bruno, der Späher vom Forte Sangallo
Massimiliano Manzini blieb das Aufhängen an den Füßen erspart. Er soll von seiner Frau in einem anonymen Grab beigesetzt worden sein. Die Zeugenaussage von Uberto Dell’Uomo verschwand in einem Karton, wo sie wohl bis heute liegt. Offiziell wurde der Mörder des sozialistischen Oppositionspolitikers Giacomo Matteotti nie gefunden.
Genovefa verkaufte nach Kriegsende ihr Erbe und ve r suchte für ihren Mann Sühne zu leisten. Sie machte viele der von ihm Verratenen und Geschädigten ausfindig und zahlte ihnen oder den Hinterbliebenen mehr als nur dreißig Silberlinge zurück. Einige Jahre nach Kriegsende ve r schwand sie – wohl in der
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