Der Herr der Unruhe
eben so dies und das.«
»Alles Humbug!«
»Es soll zwischen den unbelebten Dingen und Ihnen eine seltsame Affinität geben.«
»Was ist daran seltsam?«
»Angeblich nennen Sie Ihr weißes Motorrad Albino. Es soll Ihnen aufs Wort gehorchen und manchmal schon a n springen, bevor Sie überhaupt die Zündung betätigt oder irgendein Pedal getreten haben.«
Nico reckte den Hals im Kragen. »Na ja, die Leute reden viel, wenn der Tag lang ist.«
Der Blick des Mädchens bohrte sich erst tief in seine U n schuldsmiene, dann wanderte er an ihm herab zu den schwarzen, fettbeschmierten Händen und sprang schließlich zum eigenen Körper über. Zehn Finger hatten sich auf La u ras weißem Kleid in gut sichtbaren Abdrücken verewigt. Dies war einer der Momente, in denen Nico am liebsten im Boden versunken wäre. Er wappnete sich gegen ein Do n nerwetter, aber es sollte anders kommen.
Unvermittelt begannen Lauras Mundwinkel zu zucken. Zunächst konnte nur ein Schmunzeln ihre strenge Miene durchbrechen, aber wenig später gab ihre Nase schno r chelnde Laute von sich, ihre Schultern fingen an zu wippen, und dann öffnete sie den Mund und überschüttete Nico mit einer Woge von so herzerfrischender Heiterkeit, dass er unweigerlich mitgerissen wurde. Sich gegenseitig ihre Fl e cken zeigend, bogen sie sich vor Lachen. Im Portal der Stiftskirche erschien ein besorgter Messdiener, der das Paar argwöhnisch beobachtete. In mehreren Fenstern auf der Piazza Battisti tauchten neugierige Gesichter auf.
Endlich hatte Nico wieder genug Luft, um zu sprechen. »Das mit Ihrem Kleid, Donna Laura, tut mir furchtbar Leid.«
Sie legte sich eine Hand auf die Brust und atmete tief durch. »Was hätten Sie den tun sollen, Herr Michel? Mich fallen lassen?« Laura begann erneut zu prusten, und Nico wurde ein weiteres Mal davon angesteckt.
Als sich die zwei wieder beruhigt hatten, entstand eine merkwürdige Stille. Beide blickten verlegen zu Boden.
»Herr Michel?«, sagte endlich das Mädchen.
Nico hob den Kopf. »Ja, Donna Laura?«
»Sie sind älter als ich, fast volljährig, wenn es stimmt, was mein Vater erzählt …«
»Sie reden mit ihm über mich?«
Das Mädchen lächelte. »Ab und zu. Frauen sind neugi e rig, wussten Sie das nicht? Sagen Sie doch bitte einfach Laura zu mir. Donna Laura klingt so …«
»Altehrwürdig?«
Sie schmunzelte. »Ja! Richtig verstaubt. Fast wie Donna Genovefa.«
Wieder mussten beide kichern.
»Sie sind sehr freundlich, Don… Laura !«
»Das Sie lässt du am besten auch gleich weg, Niklas, w e nigstens, wenn wir allein sind.«
Nico klappte den Mund zu, weil ihm sonst das Herz aus der Brust gesprungen wäre. Woher kam dieser unerwartete Stimmungswandel? Oder gab Laura nur endlich einer Seh n sucht nach, die auch er seit langem in sich fühlte?
»Warum sagst du nichts?«, fragte sie.
Er holte tief Luft. »Weil ich glücklich bin. Zum ersten Mal seit vielen Jahren.«
Zu seinem Erstaunen huschte nun über ihr blasses Gesicht ein Anflug von Röte. Sie schlug die Augen nieder. »Das hast du sehr nett gesagt, Niklas. Vielleicht sollten wir me i nen Vater von der Liste unserer Gesprächsthemen stre i chen, jedenfalls, bis wir uns besser kennen gelernt haben.«
Ihm wurde schwindelig. »Ja«, war alles, was ihm dazu einfiel.
»Sehen wir uns morgen wieder?«
Er starrte sie ungläubig an. »Morgen?«
Sie ließ wie zufällig ihre Hand auf die seine sinken, die jetzt wieder auf dem Lenker lag. »Du wolltest dich doch meiner Kette annehmen, schon vergessen?«
Aus dem Klopfen wurde ein Trommeln und daraus bald ein erbarmungsloses Hämmern. Nico schreckte aus dem Schlaf hoch. Er blickte auf die phosphoreszierenden Ziffern des Weckers, der auf dem Nachttisch stand. Fünf Uhr fünfun d vierzig. Wieder dieser Albtraum! Er ließ die Luft aus dem verkrampften Brustkorb strömen und seinen Kopf e r schöpft ins Kissen zurückfallen. Der letzte Augusttag hatte ihn kreuz und quer durchs Gemeindegebiet geführt. Am Abend war er ohne Essen todmüde zu Bett gegangen. Und nun musste er, anstatt bis um sieben wie ein Stein zu schl a fen …
Die Tür der Mansardenwohnung zitterte unter heftigen Schlägen. Nico erschrak sich fast zu Tode. Das dröhnende Hämmern schien seinen Träumen entsprungen zu sein.
»Signor Michel!« Gedämpft drang eine Stimme ins Zi m mer. Der Bass gehörte unverkennbar Uberto, dem Chau f feur des Stadtvorstehers.
»Warten Sie!«, antwortete Nico und wälzte sich aus dem Bett. Er schlüpfte in
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